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Tötung Bin Ladens Programmierer twitterte US-Kommandoaktion live

Zuerst war er nur genervt: Mitten in der Nacht dröhnten Hubschrauber über sein Haus, twitterte der pakistanische IT-Experte Sohaib Athar aus Abbottabad. Dass er dann die ersten Informationen zur Militäraktion gegen Osama Bin Laden lieferte, war ihm nicht klar. Nun ist er berühmt.
Twitter-Meldung aus Abbottabad: Hubschrauber über der Stadt

Twitter-Meldung aus Abbottabad: Hubschrauber über der Stadt

Sohaib Athar wunderte sich: Um ein Uhr nachts vermeldete er unter seinem Twitternamen ReallyVirtual : "Helikopter schweben um ein Uhr nachts über Abbottabad (das passiert selten)". Bedrohlich erschien ihm die Situation offensichtlich nicht. Er schien lieber schlafen zu wollen und fühlte sich von dem Lärm der Kampfmaschinen gestört, denn wenig später schrieb er: "Verschwinde, Helikopter - bevor ich dich mit meiner riesigen Fliegenklatsche plattmache :-/." Dass er gerade die Kommandoaktion dokumentierte, auf die US-Militärs seit zehn Jahren hingearbeitet hatten und an deren Ende der Tod von Terroristenanführer Osama Bin Laden gemeldet würde, ahnte er zu diesem Zeitpunkt nicht. Das wurde ihm erst acht Stunden später klar. Seine Reaktion: "Oh, Ohh, jetzt bin ich der Typ, der den Angriff auf Osama live gebloggt hat, ohne es zu wissen."

Besonders schwer scheint Athar das Leben ohnehin nicht zu nehmen. Auf seiner Web-Seite "Really Virtual" beschreibt er sich als "33-Jährigen Typ aus Lahore in Pakistan mit 18 Jahren Programmiererfahrung und sieben Jahren Erziehungserfahrung". Er arbeite als freiberuflicher IT-Berater, wenn er nicht gerade mit seinem Sohn spiele oder von großen Ideen tagträume. In Abbottabad war er, um sich "mit seinen Laptops vor dem Leben im Hamsterrad zu verstecken", also, um zu entspannen.

Aber daraus wurde zumindest in der Nacht zum Montag nichts. Nicht lange nach dem ersten Auftauchen von Hubschraubern berichtet er von einem markerschütternd lauten Knall, der Fenster zum Klirren bringt. Jetzt wird ihm klar, dass etwas Gefährliches im Gange ist und er schreibt: "Ich hoffe, das wird nicht übel."

"Meine Riesen-Fliegenklatsche hat funktioniert"

Wenig später meldet ein weiterer Twitterer, Mohcin Shah , es sei wohl ein Hubschrauber nahe der Militärakademie in Kakul abgestürzt. Da nimmt Athar die Meldungen und seine eigenen Beobachtungen noch auf die leichte Schulter, kommentiert die Absturzmeldung mit der Bemerkung: "Es scheint, dass meine Riesen-Fliegenklatsche funktioniert hat."

Und so twittert er munter weiter, dass der Umzug von Lahore nach Abbottabat eigentlich Teil seiner "Sicherheitsstrategie" gewesen sei. Jetzt entspinnt sich langsam ein Frage-Antwort-Dialog mit anderen Twitter-Nutzern, denen er beispielsweise berichtet, dass es zwar regelmäßig Stromausfälle gebe, sein Café um die Ecke aber glücklicherweise über einen Stromgenerator und Notstrombatterien (ein sogenanntes USV-Gerät) verfüge. Ein weiterer Twitterer aus Abbottabad meldet sich zu Wort, auch @smedica  berichtet von Helikopterlärm, einem lauten Knall und später Sirenengeheul. Langsam wird klar, dass hier etwas Ernstes geschehen ist. Auf die Frage eines Twitter-Nutzers, ob er tatsächlich gerade gemeldet habe, dass in Abbottabad ein Hubschrauber abgestürzt sei, antwortet Sohaib Athar: "Yeah *versteckt seine riesige Fliegenklatsche*".

Mohcin Shah versucht unterdessen bereits mehr Informationen zu den Ereignissen zu bekommen, ruft Familienmitglieder an, die nahe des Absturzortes leben. Genaues können ihm aber auch die nicht sagen. Es habe drei Explosionen und einen Schusswechsel gegeben, aber ob der Hubschrauber abgestürzt ist oder abgeschossen wurde, können auch sie ihm nicht erklären. Sohaib Athar ist sich dagegen sicher: Der Hubschrauber wurde abgeschossen. Gerüchten, es habe sich um eine Drohne gehandelt, schenkt er keinen Glauben: "Es war zu laut für ein Spionageflugzeug - oder es war ein lausiges Spionageflugzeug." Vielleicht sei das alles ja nur eine Trainingsmission gewesen, mutmaßt der Software-Experte.

Erst spät kommt die Gewissheit

Erst als offizielle Stellen melden, es habe sich um einen Absturz gehandelt, schwenkt er um: "Ich habe das Gefühl, ich sollte mich wegen der Fliegenklatschen-Tweets bei dem Piloten entschuldigen." Dann hört man nichts mehr von ihm bis er vier Stunden später twittert, ein Taxifahrer habe ihm gesagt, die Gegend um den Absturzort sei abgeriegelt worden und die Armee würde Haus für Haus durchsuchen. Langsam scheint ihm klar zu werden, dass da etwas Wichtiges in seiner Stadt passiert sein könnte. Jedenfalls zitiert er die Mutmaßung eines anderen Nutzers, dass die Ereignisse in Pakistan und die Ankündigung einer Ansprache durch US-Präsident Obama zusammenhängen könnten.

Als schließlich bestätigt wird, dass Osama Bin Laden in Abbottabat getötet wurde, fragt sich Athar nur, welche Musik er anlässlich dieses Ereignisses wohl heute in seinem Café spielen werde und jammert: "Ich sollte unbedingt schlafen, aber Osama musste sich ja den heutigen Tag zum Sterben aussuchen."

"Ich bin bloß ein Twitterer"

Als Athar schließlich feststellt, welche Ereignisse er da in der Nacht dokumentiert hat, bricht bereits der Sturm über ihn herein: Zuerst freut er sich noch über die vielen neuen Follower, die ihm seine Live-Berichte einbringen, dann bittet er um Verständnis, dass er keine Anfragen mehr beantworten kann, weil er in E-Mails und Medienanfragen untergeht. 18.000 Twitter-User folgen seinen Tweets am Montagvormittag bereits, einige dürften im Laufe des Tages noch dazukommen.

Von Dauer dürfte der Ruhm des Sohaib Athar aber kaum sein - und dessen ist er sich offenbar auch bewusst, als er am Morgen schreibt: "Ich bin bloß ein Twitterer, der zur Zeit des Absturzes wach war. Es gibt nicht viele Twitter-Nutzer in Abbottabad, diese Typen sind eher bei Facebook. Das ist alles."