Google und Facebook werden sich künftig verstärkt in die Haare kommen

Foto: DER STANDARD/Helmut Spudich

Googles Angebot an Online-Diensten ist überwältigend - im positiven wie im negativen Sinn. Web-Nutzern wird mit Suche, Email-Client, Kalender oder Online-Foto-Album die Informationsgewinnung erleichtert. Auf der anderen Seite scheinen Anwender mit einer Flut von Entwicklungen aus den Google Labs wenig anfangen zu können. Dazu gehört der zunächst revolutionär wirkende, aber recht bald fallengelassene "Email-Killer" Google Wave oder der dahinsiechende Twitter-Rivale Google Buzz. Im Halo dieser oftmals stiefmütterlich behandelten Produkte und undurchsichtigen Strategien sprießen kleinere, äußerst nützliche Innovationen wie der Google Reader aus dem Boden. Tools wie Google Takeout, das einen die gesammelten Online-Daten aus Web-Diensten exportieren lässt, gehen dabei fast unter.

Ein gemeinsame Plattform

Googles Welt ist eine reichhaltige, wenngleich zersplitterte Ansammlung interessanter Orte. Man sucht über Google, man verschickt Emails über Gmail, man teilt Fotos über Picasa und bezieht die neuesten Videos und Songs von Youtube - es fehlt die gemeinsame Plattform, die all diese Möglichkeiten vereint. Diese soziale Kompetenz beanspruchten bisher andere für sich. Zunächst MySpace, dann Friendster, dann StudiVZ und seit einigen Jahren bündelt Facebook die Aktivitäten der Online-User und trifft damit Allrounder Google im Herzen. Denn obwohl Google-Kunden all die Angebote des Internetriesen zu schätzen gelernt haben und darauf nicht mehr verzichten wollen, verbringen sie ihre Zeit nun vorrangig im Paralleluniversum Mark Zuckerbergs.

Ein Absurdum, das in Zukunft "Google+" aus der Welt schaffen soll.

Fundament für die Zukunft

Die am Mittwoch vorgestellte Plattform ist mehr als ein Versuch, eine Alternative zu Facebook zu stellen. Daran lässt die mehrjährige Entwicklung mit hunderten Programmieren und Experten unter direkter Leitung des Gründers und neuen CEOs Larry Page keinen Zweifel. Google+ ist als Fundament für die Zukunft angesetzt, in der Online-Zeit immer knapper und kostbarer wird. Man kann noch so viele gute Dienste anbieten, wenn die Menschen die meiste Zeit woanders verbringen, verlieren Google und dessen Angebote zwangsläufig an Werbewert.

Wie will Google das schaffen

Die unumgängliche Frage lautet dabei: Wie will Google es schaffen, 700 Millionen Nutzer zur Übersiedelung zu bringen? 700 Millionen Nutzer oder zumindest ein großer Teil davon hat die vergangenen Jahre damit zugebracht, ein Netzwerk aufzubauen, das in der westlichen Welt zum Quasistandard gewachsen ist. Lokale Betreiber wurden verdrängt, Kontakte, Fotos, Nachrichten zurückgelassen, um sich auf einem gemeinsamen Planeten wieder zu finden. Auf Facebook sind ganze Freundschaften zuhause, werden Familienfeiern geteilt, Partys und berufliche Treffen organisiert und nicht zuletzt zehren immer hungrigere Medien, Firmen, Politiker, Stars und NGOs von diesem Ökosystem. Facebook ist zur Anlaufstelle im Netz geworden.

Trümpfe richtig ausspielen

Trotz großer Hürden stehen die Chancen für Google+ vielleicht besser, als zunächst erwartet - sofern der Internetriese seine Trümpfe richtig ausspielt. Prinzipiell verlockt die Aussicht darauf, Google bereits vielfach in Verwendung befindenden Dienste in gebündelter Form nutzen zu können. Ein soziales Netzwerk mit integrierter Websuche, Videochat und allen anderen so üblichen Anwendungen ist wie die Verfrachtung aller Tricks des Internets in ein Schweizer Taschenmesser. Getrennte Kommunikationswege wie Skype würden obsolet. Umso mehr trifft diese Analogie zu, wenn man die nahtlose Integration in das hauseigene Mobile-Betriebssystem Android bedenkt - die dominierende Plattform in der mobilen Telekommunikation. Zudem verspricht Google+ auch grundlegende Verbesserungen bei Facebooks Kernkompetenz: Beim sozialen Netzwerken. Eine transparentere Trennung zwischen Freunden, Familie und anderen Bekanntschaften soll das Kontaktechaos und die Bedenken zur Privatsphäre vieler Facebooker in Luft auflösen.

Mehr Offenheit

Zudem verspricht Google+ mit einem möglichen Datenaustausch über die eigenen Grenzen hinweg im Gegensatz zu Facebook kein schwarzes Loch im Internetuniversum zu werden. Während Facebook zwar die Einbettung externer Inhalte begrüßt (und davon lebt), blockieren die Betreiber die Kommunikation nach außen. Google steht hier, wie es immer wieder unter Beweis gestellt hat, für Offenheit. Stellt sich Google geschickt an, wird man zudem die Vertrauenskarte ausspielen können. Mit seinem undurchsichtigen Verhalten bezüglich Datenschutz zog Facebook wiederholt den Unmut der Nutzer auf sich. Sollte Google von Anfang an transparenter mit Google+-Nutzerdaten umgehen, könnte man hier Facebook-Skeptiker rasch an Land ziehen. Auf der anderen Seite, wird sich zeigen, was Kunden von einer weiteren Machtkonzentration des Google-Netzwerks halten.

Koexistenz ausgeschlossen?

Könnten vielleicht auch beide Netzwerke künftig koexistieren? Diese Option hat die Vergangenheit schon mehrmals vom Tableau gefegt: Zuletzt musste MySpace daran glauben. Bei sozialen Netzwerken scheint die Regel zu besagen: Entweder ganz oder gar nicht. Die User wollen offenbar eine zentrale Plattform zur Kommunikation mit all ihren Bekannten haben. Wer schaut schon gerne in mehrere Postfächer, um ein und die selbe Party zu organisieren? Daher dürfte mit Facebook und Google+ ein massiver Verdrängungswettbewerb in Gang gesetzt werden - ein Rennen, bei dem Facebook weit vorne liegt, Google+ aber keine schlechten Karten hat.

Ein Klick entfernt

Bislang ist Google+ allerdings nicht mehr als ein Testlauf, ein Projekt. Daher darf man sich bis auf weiteres in Ruhe zurücklehnen und die Entwicklung beobachten. Googles später, jedoch lautstarker Neueinstieg in den Markt für soziale Netzwerke schafft jedoch schon jetzt die beruhigende Gewissheit, dass es bald eine attraktive Alternative zu Facebook gibt. Davon können am Ende des Tages Konsumenten nur profitieren. Dass im Web jeder Ort nur ein Klick entfernt ist, macht Googles erhoffte Völkerwanderung zum realistischen Unterfangen.

(Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 29.6.2011)

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