ZEIT ONLINE: Wie sind Sie eigentlich auf das Thema Improvisation gekommen?
 
Sabria David: Ich habe irgendwann festgestellt, wie sehr es mich freut, wenn etwas nicht nach Plan verläuft. Das kann einem selbst bei einem sogenannten Lean-Back-Medium wie dem Fernsehen passieren. Wenn plötzlich hinter dem Tagessschau-Sprecher das falsche Bild eingeblendet wird. Oder wenn in einer Live-Sendung etwas schief läuft. Dann tritt zunächst eine Art Schreckmoment ein, aber plötzlich ist man wach. Ich habe mich gefragt, was daran so faszinierend ist, und wie man diese Momente für sich nutzen könnte.
 
ZEIT ONLINE: Gibt es noch andere Beispiele?
 
David: Im vergangenen Jahr gab es auf der Schlussveranstaltung der Blogger-Konferenz Re:publica eine unfreiwillige, großartige Improvisations-Aktion. Im Grunde genommen entstand sie ganz klassisch. Geplant war ein Interview mit dem Twitter-Gründer Biz Stone. Doch weil der Interviewpartner nicht erreichbar war, veranstaltete Johnny Häuser spontan ein Karaoke-Singen. Gemeinsam mit dem Publikum sang er Bohemian Rhapsody von Queen . Der Mensch selbst betritt die Bühne und muss handeln. Und dann wird etwas ganz Tolles daraus. Ein weiteres Beispiel ist der sogenannte "Torfall von Madrid ". Am Anfang eines Fußballspiels passierte ein Unfall: Ein Tor fiel um. Eine Katastrophe. Das Spiel konnte nicht wie geplant stattfinden, und es hat sehr lange gedauert, bis das Tor wieder aufgestellt war. 76 Minuten um genau zu sein. Und am Ende haben Günther Jauch und Marcel Reif dafür den Grimme Preis bekommen. Ihnen war es gelungen anstatt wie geplant ein Fußballspiel zu kommentieren, ganze 76 Minuten kunstvoll und sehr unterhaltsam und witzig zu überbrücken. In diesen 76 Minuten haben doppelt so viele Leute zugeschaut wie nachher bei dem echten Spiel.

ZEIT ONLINE: Warum ist Improvisation in den Medien besonders spannend?

David: Diskursivität liegt mir sehr am Herzen. Sie ist nämlich ein ganz wichtiges Kriterium dafür, dass Kommunikation gelingt. Ich habe den Verdacht, dass Improvisation ein klassischer Fall von Diskursivität ist: Improvisation ermöglicht ein Hin- und Her zwischen einer Person, die gewissermaßen auf der Bühne steht, und dem Publikum auf der anderen Seite. Die neuen Medien machen möglich, dass man antwortet, dass man zuhört, dass man Spiel zulässt. Das heißt auch, es passieren Dinge, die man nicht geplant hat. Und das Spannende ist: Am Ende kommt etwas heraus, was noch viel großartiger ist als das, was ursprünglich vorgesehen war.