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Öffentlich-rechtliches Internet Die Angst vor der Marktwirtschaft

Fast acht Milliarden Euro verteilt die GEZ jedes Jahr an öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Nicht einmal bei der Pharmaforschung, wo es um das Wohl und Wehe der Menschen geht, greift der Staat so direkt in die Wirtschaft ein. Dabei ist das Misstrauen gegenüber dem Markt unberechtigt.
iPhone-App der "Tagesschau": Zwangsgebühren finanzieren die Entwicklung

iPhone-App der "Tagesschau": Zwangsgebühren finanzieren die Entwicklung

Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

Im Streit um die iPhone-App der "Tagesschau" fallen Argumente, die so absurd sind, dass man schnell vergisst, wie merkwürdig das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland eigentlich ist. Da werfen zum Beispiel Vertreter von Verlagen der "Tagesschau" vor, sie würde ihre iPhone-App verschenken. Es gehe doch nicht an, dass man mit sicheren Gebührengeldern den Online-Angeboten der Verlage Konkurrenz macht und dann für die öffentlich-rechtlichen Apps noch nicht mal Geld verlangt.

Als ob es besser wäre, wenn Menschen in Zukunft zweimal für die "Tagesschau" zahlen - einmal über die GEZ, einmal über Apple!

Selbst die schärfsten Kritiker der Rundfunkgebühren trauen sich heute nicht, die grundsätzliche Frage zu stellen: Warum misstrauen wir in Deutschland ausgerechnet im Mediengeschäft der Marktwirtschaft so sehr, dass ein äußert kompliziertes System jährlich fast acht Milliarden Euro Zwangsgebühren umverteilt?

Die Argumente für einen öffentlich-rechtlichen (eben keinen staatlichen!) Rundfunk kann man in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts von 1961  und 1986  nachlesen. Verkürzt lassen die sich so zusammenfassen: Rundfunk kostet viel Geld, die Frequenzen sind knapp, deshalb kann man nicht darauf vertrauen, dass die Marktwirtschaft funktioniert und durch Konkurrenz ein so vielfältiges Angebot entsteht wie zum Beispiel bei der Presse. Darum müssen Sender eine möglichst große Meinungsvielfalt im eigenen Programm schaffen (Binnen- statt Außenpluralismus) - und das geht nur bei öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Als es dann in den Achtzigern mehr Sendefrequenzen gab, vertrauten die Verfassungsrichter der Markwirtschaft noch immer nicht ganz: Ja, private Sender sind erlaubt, aber sie werden die Vielfalt nicht schaffen, die es braucht, um Meinungsbildung im Sinne des Grundgesetzes zu garantieren. Denn, so das Verfassungsgericht: Private Anbieter müssen "möglichst massenattraktive" Programme zu "möglichst niedrigen Kosten" verbreiten, um Gewinne zu machen.

Nun könnte man darüber streiten, ob die öffentlich-rechtlichen Sender heute wirklich eine derart große Bandbreite an Meinungen und Inhalten bieten, wie sie den Verfassungsrichtern einst vorschwebte und ob diese Vielfalt heute nicht im Netz zu finden ist. Zielführender ist aber eine andere Frage: Versagt die Marktwirtschaft im Medienbereich heute so massiv, dass eine derart strenge Regulierung (Umverteilung von knapp acht Milliarden Euro jährlich) nötig ist?

Im Internet fallen die Kosten für die Technik von Medienangeboten kontinuierlich, während das potentiell online erreichbare Publikum ständig wächst. Die Chancen für eine funktionierende Medienmarktwirtschaft dürften dank der Digitalisierung heute erheblich höher sein als noch vor zehn Jahren. Der Zugang zum Publikum ist heute im Buchmarkt schwieriger als im Web - trotzdem verlangt niemand öffentlich-rechtliche Verlagsanstalten für gebundene Print-Produkte.

Es gibt keine öffentlich-rechtlichen Pharma-Forschungsanstalten

Sicher wäre ein Medienmarkt ganz ohne öffentlich-rechtliche Grundversorgung nicht perfekt - aber nicht-perfekte Märkte nimmt der Staat in ganz anderen wichtigen, privatwirtschaftlich organisierten Bereichen hin. Es geht immer um die Frage: Wie greift der Staat ein, um ein höheres Ziel zu erreichen, das auf einem völlig freien Markt für die Wettbewerber per se gar nicht so lukrativ ist. Meinungsvielfalt zum Beispiel. Oder die Entwicklung von Medikamenten  für seltene Krankheiten.

Wenn es zu wenig Erkrankte gibt, lohnt es sich für Pharmakonzerne nicht, die Forschung zu bezahlen. Mittel gegen Demenz, Diabetes des Typs 2 oder Erektionsprobleme versprechen erheblich mehr Ertrag aus investiertem Kapital als Mittel gegen Neurofibromatose Typ 2. Obwohl das so ist, leistet sich die Bundesrepublik Deutschland keine öffentlich-rechtlichen Pharma-Forschungsanstalten.

Der Staat reguliert die Pharmaentwicklung mit Anreizen, so gibt es zum Beispiel vereinfachte Zulassungsverfahren für Medikamente gegen seltene Erkrankungen. Dieses System ist nicht perfekt, denn selbst bei einfacher Zulassung lohnt sich die Entwicklung bei zu seltenen Krankheiten nicht. Hier geht es um Menschenleben, nicht um Meinungsbildung. Könnte der Staat den Medienmarkt nicht mit ähnlichen Instrumente regulieren wie die Pharmaforschung? Steuerfreiheit für freiberufliche Korrespondenten statt öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten zum Beispiel?

Der Suchmaschinen-Markt ähnelt heute dem Rundfunk der Sechziger

Ein anders Beispiel für einen Medienmarkt mit hohen Investitionshürden sind Suchmaschinen: Inzwischen nutzt die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland Google als das Betriebssystem des Internet - wer zu SPIEGEL ONLINE will, tippt "Spiegel" ins Suchfenster ein, die Kulturtechnik der Web-Adressen gerät in Vergessenheit, Google hat einen Marktanteil von mehr als 90 Prozent.

Googles Algorithmen bestimmen inzwischen unser Bild von der Wirklichkeit. Um der Google-Technik etwas Vergleichbares entgegenzusetzen, müsste man viele Millionen Euro investieren. Trotzdem käme niemand in Deutschland auf die Idee, eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine zu installieren.

Denn trotz der marktbeherrschenden Stellung von Google zeigt das Beispiel, dass Medienmonopole im Internet nicht so einfach auf andere Bereiche auszudehnen sind. Die dominierende Suchmaschine kommt eben nicht von Microsoft, das dominierende Handybetriebsystem eben nicht von einem Medienkonzern wie News Corp, das dominierende soziale Netzwerk eben nicht von Google. Der Wettbewerb hält also selbst die internationalen Online-Riesen in Grenzen - zumindest über Angebotsgrenzen hinweg. Keiner dominiert alle Sektoren.

Ob das genügt, um die Vielfalt des Medienangebots zu garantieren, ist eine andere Frage. Statt darüber zu streiten, dreht sich die Debatte um den Binnen- und Außenpluralismus des Medienangebots in Deutschland noch immer allein um die Gestaltung des Rundfunks - es ist eine Debatte aus den sechziger Jahren des vergangen Jahrhunderts. Und sie wird geführt, als habe sich die Welt seitdem nicht fundamental gewandelt.