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Verlage gegen Commentarist "FAZ" und "SZ" wollen nicht zitiert werden

Eine Kanzlei geht im Auftrag von "FAZ" und "SZ" gegen das Start-up Commentarist vor. Das Webangebot hatte Links auf Meinungsartikel der Zeitungen gesammelt - die reagierten mit Abmahnungen. Die Commentarist-Gründer weisen die Vorwürfe zurück.

Hamburg - Das Ziel von Commentarist.de: ein möglichst umfassendes Bild der Meinungsbeiträge in deutschen Zeitungen zu vermitteln. Ein digitales Kommentarverzeichnis soll die Seite sein - mit direkten Links zu den Meinungstexten deutscher Blätter und Websites. Doch das stößt mancherorts auf heftigen Widerstand.

Urheberrecht, Markenrecht, Wettbewerbsrecht, sechs Seiten lang zählt die Anwaltskanzlei Lausen im Auftrag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Paragrafen auf, gegen die das Internet-Angebot Commentarist  verstoßen haben soll. Ein Schreiben mit identischen Forderungen hat die Kanzlei auch im Namen der "Süddeutschen Zeitung" verschickt. Die Betreiber der Website sollen eine Unterlassungserklärung abgeben und 1820 Euro zahlen.

Weder "Süddeutsche Zeitung" noch "Frankfurter Allgemeine Zeitung" wollten gegenüber SPIEGEL ONLINE auch nur bestätigen, dass sie rechtlich gegen Commentarist vorgehen.

Rund zwei Wochen war das Angebot online gewesen, hatte kurze Anrisse zu Kommentaren von 16 großen Nachrichtenseiten nach Themen sortiert aufgelistet, darunter auch SPIEGEL ONLINE. Mehr als tausend Journalisten waren mit ihren Meinungsartikeln aufgeführt. Nachdem die Briefe Anfang Februar bei Commentarist eingingen, schalteten die Gründer ihre Link-Sammlung vorerst ab.

Das Angebot verletze "in nachhaltiger und mannigfacher Weise die urheberrechtlichen Nutzungsrechte sowie die Kennzeichnungsrechte", schrieben die Lausen-Anwälte am 3. Februar an das Unternehmen. Außerdem sei das Verhalten "wettbewerbsrechtlich unlauter". Commentarist soll eine "ausreichend strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung" abgegeben.

Das hat Seitengründer Eric Hauch getan, weil er kein Geld für einen möglichen langen Rechtsstreit hat und sein Angebot schnell wieder online bringen will - aber nur in einer modifizierten Form, zunächst ohne die 3640 Euro zu bezahlen. Die "FAZ" meldete sich daraufhin am Montag erneut: Man nehme die modifizierte Erklärung an, bestehe aber weiterhin auf Übernahme der Kosten.

50 Euro Lizenzkosten pro Anriss

Andernfalls droht die Zeitung damit, auf Schadensersatz zu klagen. Jede auszugsweise Nutzung eines "FAZ"-Artikels koste 50 Euro Lizenzgebühr, wird vorgerechnet. Insgesamt 1016 Links hatte Commentarist zur Website der Zeitung gesetzt. Mehr als 50.000 Euro für Links?

Angesichts dieser Breitseite könnte man meinen, die Commentarist-Gründer hätten munter drauflos kopiert und dreist Artikel von sueddeutsche.de und faz.net auf die eigene Seite gestellt. Es geht aber um kurze Anrisse - nicht mehr, als eine Google-Suche zu Tage fördert oder als bei Google News präsentiert wird. Zum Beispiel wie dieser Verweis auf einen Kommentar in der "FAZ":

Kräftezehrende Pflege 
Von Georg Paul Hefty
Pflege ist eine Gemeinschaftsaufgabe - so wie Kinderbetreuung im Vorschulalter: Eine Gesellschaft, die das Single-Dasein geradezu fördert und Scheidungen zur Gewohnheit macht, braucht immer mehr die professionalisierte Pflege der Bedürftigen, um die Würde der Menschen zu wahren.

"Ich muss auf die Seite der 'FAZ' gehen und nachlesen, um zu wissen, wie hier argumentiert wird", sagt Hauch. "Wir ordnen die Kommentare der Journalisten nach Themen, Nachrichtenseiten und Autor. Damit geben wir den Lesern die Möglichkeit, Meinungen zu vergleichen und gute Kommentare zu entdecken." Die Seite schaffe einen Mehrwert - und leite den Seiten der Verlage, wie man aus den Statistiken ablesen könne, Leser weiter.

Das sieht die Kanzlei Lausen anders: "Dadurch, dass Sie beabsichtigen, für Internetnutzer den Besuch der Internetseite unserer Mandantin entbehrlich zu machen und diese Nutzer vielmehr auf Ihre Seite mit den rechtswidrig öffentlich zugänglich gemachten Werken 'locken', schädigen Sie unsere Mandantin in erheblicher Weise", heißt es in einem der Schreiben, die SPIEGEL ONLINE vorliegen.

Dass sich Verlage derlei Links auf ihre Artikel gefallen lassen müssen, hat der Bundesgerichtshof allerdings schon 2003 festgestellt. "Wer sucht, der darf auch finden", schrieb die "SZ" damals über das sogenannte Paperboy-Urteil. Der eher unbekannte Internetdienst Paperboy hatte, so wie Commentarist und Google, Artikel verlinkt. Dagegen war die Verlagsgruppe Handelsblatt vorgegangen, weil die Nutzer mit solchen Links die Startseite des Angebots umgehen konnten.

Der Bundesgerichtshof lehnte die Klage ab: Weder Urheberrecht noch Wettbewerbsrecht würden durch die sogenannten "Deep Links" verletzt. "Praktisch ausgeschlossen" sei eine sinnvolle Nutzung der Informationsfülle im World Wide Web ohne Suchmaschinen und direkte Links auf Artikel. Der von Commentarist eingeschaltete Anwalt, Moritz Diekmann, ärgert sich über das Vorgehen der großen Verlage gegen das kleine Unternehmen. "Google macht nichts anderes, aber gegen so einen Riesen wird natürlich nichts unternommen."

Verlage stehen Schlange

"SZ" und "FAZ" machen außerdem das Urheberrecht geltend: Schon für wenige Wörter aus dem Artikel soll eine Genehmigung nötig sein. Das Zitatrecht bestimmt, dass einzelne Sätze oder Gedankengänge ohne Genehmigung übernommen werden dürfen, wenn das Zitat in einer Beziehung zur eigenen Leistung steht. Dieses Recht nimmt auch der Perlentaucher in Anspruch, ein Internetdienst, der Rezensionen von Tageszeitungen zusammenfasst und die Artikel verlinkt. Die Presseschauen des Perlentauchers gibt es auch auf SPIEGEL ONLINE.

Seit Jahren streiten "SZ" und "FAZ" vor Gericht gegen dieses Angebot. Die Verlage sehen in der komprimierten Zusammenfassung eine Kopie des Originals. In mehreren Instanzen deutete sich bisher an, dass die Richter dieser Argumentation nicht folgen - allerdings hat der Bundesgerichtshof den Fall wegen Verfahrensfehlern zurückgegeben, ein endgültiges Urteil steht noch aus.

Damit künftig trotzdem selbst kleinste Textbausteine wie Überschriften einen rechtlichen Schutz genießen, fordern große Medienhäuser, darunter auch der SPIEGEL-Verlag, derzeit ein sogenanntes Leistungsschutzrecht. Wie genau das aussehen soll - und sich mit dem Zitatrecht vertragen kann - sei aber bisher unklar, kritisiert Philipp Otto von der Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (IGEL) .

Längst nicht alle Zeitungsverlage sehen sich von Internetangeboten wie Commentarist bedroht. Mehrere große Verlage hätten angefragt und um eine Aufnahme in die Kommentar-Suchmaschine gebeten, sagt Hauch - bisher aber wäre das schon aus technischen Gründen schwierig. Nach und nach sollte die mit 16 Quellen gestartete Seite um weitere Nachrichtenseiten und Funktionen erweitert werden.

Hauch hat nun vor, die Kosten für die Unterlassungserklärung im Auftrag der "FAZ" doch zu bezahlen, damit Commentarist schnell wieder online gehen kann.

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