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S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Warum Kommunikationsprofis im Netz versagen

Moderne Öffentlichkeitsarbeit fußt auf einem fundamentalen Missverständnis, beobachtet Sascha Lobo: Kommunikationsprofis glauben, dass Internet und soziale Medien die virtuelle Welt abbilden, die Massenmedien die reale. In Wahrheit ist es umgekehrt - mit der Folge, dass ihre PR fehlgeleitet ist.

Auf der Suche nach dem abgegriffensten Zitat der Neuzeit gelangt man gleich hinter Gorbatschows Bestrafung für Zuspätkommende zu Paul Watzlawicks "Man kann nicht nicht kommunizieren". Theoretisch mag dieser bonmothafte Satz von 1957 stimmen, praktisch jedoch ist die Welt voll von Leuten, die sehr eindrucksvoll nicht kommunizieren können. Und es scheint, als arbeite ein Gutteil von ihnen in der Kommunikationsbranche, speziell im Fach Public Relations. Der deutsche Begriff dafür ist Öffentlichkeitsarbeit, und ebendiese Öffentlichkeit verwandelt sich durch die digitale Vernetzung schnell, umfassend und unverschämterweise auch ohne Rücksicht auf die dazugehörigen Agenturen.

Im Jahr 1968 titelte der SPIEGEL noch "PR - die heimliche Großmacht" , heute vergeht kaum eine Woche im Netz ohne den Stepptanz einer PR-Agentur in allen verfügbaren Fettnäpfchen. Natürlich sind Fehler auch schon früher passiert. Aber wenn dem durchschnittlich aufmerksamen Internetnutzer zu jedem Namen einer größeren PR-Agentur der passende Skandal einfällt, dann läuft etwas schief zwischen den Public Relations und dem, was "Public" heute auch bedeutet: dem Internet mit seinen sozialen Medien.

Die Suche nach dem Grund für die Schwierigkeiten, die die moderne PR mit dem Netz hat, führt zurück zu den historischen Wurzeln dieser Branche. Wie es sich für die zwiespältige Kunst der Public Relations gehört, taumelte ihr Begründer Ivy Lee zwischen Heldentaten und Schurkenstücken  hin und her. Er half mit seiner Pressearbeit, für das amerikanische Rote Kreuz während des Ersten Weltkriegs 400 Millionen Dollar Spenden zu sammeln. Vermutlich beriet er die Nazis beim Aufbau ihrer Propagandamaschinerie. Er erfand das PR-Krisenmanagement und die Home Story, er wandelte die Meinung der Öffentlichkeit über Rockefeller vom verbrecherischen Raffzahn zum märchenhaft reichen Philanthropen.

Seine wichtigste Errungenschaft aber war die Pressemitteilung, die er als einer der ersten benutzte und zum Standard weiterentwickelte. Sie blieb für Firmen und Institutionen hundert Jahre lang das wichtigste Instrument der Kommunikation mit der Öffentlichkeit, für viele auch das einzige. Sie ist auch heute noch relevant. Aber die Pressemitteilung ist in Wirklichkeit keine Kommunikation mit der Öffentlichkeit, sondern der Versuch, Journalisten und Multiplikatoren zu überreden, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Die Pressemitteilung ist wie die Kinoeinladung, die der verliebte Trottel über seinen widerwilligen Kumpel ausrichten lässt. Sie ist das Symbol einer zutiefst künstlichen Welt: die Welt der Massenmedien, die nach seltsamen, über Jahre ritualisierten und oft kontraintuitiven Regeln funktioniert.

Anders als der Name vorgaukelt, ist die von Ivy Lee mitbegründete Public Relations nicht die Fähigkeit, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Klassische PR entspricht der Fähigkeit, den künstlichen, massenmedialen Apparat zu bedienen. Dessen Mechanismen eignen sich - offline wie online - für die zwischenmenschliche Kommunikation so gut wie das Foto eines Wagenhebers zum Wagenheben, denn klassische PR funktioniert indirekt, mit der Zwischenstation eines Massenmediums. Im Internet kommunizieren in sozialen Medien die Leute aber direkt miteinander. Aus diesem banalen Unterschied heraus erklären sich die Schwierigkeiten vieler Kommunikationsprofis mit dem Internet, sie haben alle möglichen Führerscheine gemacht und nehmen damit jetzt an einem kommunikativen Fußmarsch teil.

Facebook - die größte Seite der Welt

Allerdings handelt es sich um einen gigantischen Fußmarsch. Selbst Fachleute unterschätzen die schiere Größe der sozialen Medien wie Facebook, die derzeit die Kommunikation im Netz prägen. Geht man von Seitenabrufen (Pageviews) aus, noch immer die Währung der Aufmerksamkeitshändler, dann ist Facebook die größte Seite der Welt. Aber nicht nur das. Facebook allein ist größer als die zweit- bis 100-größte Seite der Welt - zusammengenommen. Facebook hat in zwei Tagen so viele Seitenabrufe wie alle deutschen Onlinemedien zusammen in einem Monat.*

Diese ungeheure Gravitation der Aufmerksamkeit lässt die sozialen Medien im Moment stetig größer und wichtiger werden. Das ist der Grund für die vielen Kommunikationsversuche, mit denen die klassische PR ihre Hilflosigkeit und Verzweiflung zu verbergen versucht. Deshalb ist es von kaum erträglicher Ironie, dass der derzeitige Public-Relations-Skandal sich um Facebook dreht: Die weltweit agierende PR-Beratung Burson-Marsteller sollte im Auftrag von Facebook negative Artikel über Google  provozieren, stellte sich dabei so umsichtig an wie ein Asteroid mittlerer Größe und wurde ertappt.

Auf der Web-Seite der Agentur findet sich neben einer ausgesprochen dürren, siebenzeiligen Meldung zum Thema  der Unternehmens-Leitspruch "Evidence-Based Communications", also Kommunikation auf der Grundlage (wissenschaftlicher) Beweise. Was gemeint ist als Versprechen an den Kunden zeigt auch das Drama der Branche. Diese Formulierung ist erkennbar an zahlenfixierte Manager gerichtet, die die Wirksamkeit ihrer teuren Kommunikationskampagnen um jeden Preis in Form einer Excel-Tabelle bewiesen sehen wollen - und zwar noch, bevor sie stattfindet. Diese Berechenbarkeit oder Kontrolle der Wirkung in der Öffentlichkeit war schon immer eine Illusion, genährt durch die einigermaßen kalkulierbaren Mechanismen der traditionellen Medien .

Aber die Techniken, die Formeln und die Tricks, die diese Gewissheit für die Massenmedien garantieren sollten, funktionieren schlecht oder gar nicht in den sozialen Medien. Wenn im Internetzeitalter Public Relations über die Kenntnis der Handy-Nummern von Journalisten hinaus wirklich bedeuten soll, mit der Öffentlichkeit in Beziehung zu treten, dann muss sich die Haltung der PR-Agenturen und der entsprechenden Abteilungen in den Unternehmen radikal ändern. Es nützt nichts, weiter so zu tun, als seien die sozialen Medien bloß eine chaotische Variante der überschaubaren Medienwelt des 20. Jahrhunderts. Der Unterschied ist wesentlich grundlegender und mag in den Ohren traditioneller PR-Experten verstörend klingen. Die digitale Öffentlichkeit mit ihrer direkten Kommunikation im Internet, das ist die echte Welt. Die Massenmedien, die abgelöst vom persönlichen Erleben des Einzelnen vor sich hin publizieren, die sind virtuell.


* Die erwähnten Zahlen (alle Stand Februar 2011) beruhen auf Statistiken von Google , das die eigene Startseite jedoch nicht mitzählt

Für die deutschen Medien zählt der Wert der offiziellen Messorganisation IVW