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"Spiegel"-Reporter wird Henri-Nannen-Preis aberkannt

Nannens Enkelin Stephanie bezeichnete die Preisvergabe an einen "Spiegel"-Redakteur als "Skandal". Ihm wurde der Preis danach aberkannt.

Die Juroren brauchten etwa anderthalb Stunden. Dann stand fest: René Pfister, der am Freitag für sein Porträt über den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer den Henri-Nannen-Preis erhalten hatte, wird diese Auszeichnung aberkannt. Es ist das erste Mal in der Geschichte dieser renommierten Ehrung, dass ein Preisträger die Auszeichnung zurückgeben muss. Einen Nachrücker wird es nicht geben. 2011 wird in der Kategorie Reportage kein Preis verliehen.

Die elfköpfige Jury hatte sich am Montag um 16.15 Uhr zu einer Telefonkonferenz zusammengeschaltet. Nur der Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“ Kurt Kister fehlte. Er hatte zuvor seinen Mitjuroren eine schriftliche Erklärung zukommen lassen, in der er sich gegen eine Aberkennung des Preises aussprach. Außer ihm votierten auch „Geo“-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede, „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher und „Spiegel“-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron gegen eine Aberkennung. Alle Juroren sprachen sich dafür aus, den noch verhältnismäßig jungen Journalisten – Pfister wurde 1974 geboren – nicht allzu sehr zu beschädigen. Seine Schuld an der Affäre wurde von der Jury offenbar als nicht schwerwiegend aufgefasst. Sich selbst mochten die Juroren aber auch keine Vorwürfe machen. Um eine Formulierung, die sowohl den Interessen des „Spiegel“-Redakteurs als auch denen der Jury gerecht wird, wurde offenbar lange gerungen. Sie soll Dienstag veröffentlicht werden.

Gerne aber würde man es genauer wissen: Wer hat denn nun einen Fehler gemacht? Der „Spiegel“-Redakteur René Pfister, der ein Porträt über Horst Seehofer in der Kategorie Reportage beim Henri-Nannen-Preis einreichte, obwohl sein Stück eine Passage über die Modelleisenbahn des bayerischen Ministerpräsidenten enthielt, von der er nur vom Hörensagen wusste? Oder die Jury, die seinem Text den Reportage-Preis zuerkannte, weil sie nicht bemerkte, dass der „Spiegel“-Mann zumindest auf drei Absätzen seines drei Seiten langen Textes Begebenheiten schilderte, von denen er nur aus zweiter Hand erfahren hatte?

Es gibt „Spiegel“-Redakteure, denen bereits im August 2010, als Pfisters Stück „Am Stellpult“ erschien, auffiel, dass die Passage über die Modelleisenbahn etwas leblos ist: „Da ruckelte nichts, da zischte nichts, da klickte nicht mal eine Weiche,“ erinnert sich einer.

Drei verlässliche Quellen

Beim „Spiegel“ hatte man sich Montag in der Elf-Uhr-Konferenz kontrovers mit der Causa Pfister befasst. Die Blattkritik des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Volker Rühe geriet da beinah zur Nebensache. Die Runde diskutierte intensiv einen Artikel von Henri Nannens Enkelin Stephanie, die im „Hamburger Abendblatt“ die Preisverleihung an Pfister einen „Skandal“ genannt hatte und dem „Spiegel“-Autor „Betrug an der Wahrheit“ vorgeworfen hatte.

Das Meinungsbild in der „Spiegel“-Redaktion war offenbar gespalten. Die Chefredaktion und einige Ressortleiter verteidigten Pfister. Die Absätze über die Modelleisenbahn dienten in dem Text lediglich als Metapher, sagte nach Angaben von Konferenzteilnehmern beispielsweise Kulturressortleiter Lothar Gorris. Aber wenn dem so ist, handelt es sich bei dem Stück dann noch um eine lupenreine Reportage?

Schließlich diskutierte die Runde die „Spiegel“-Methode, Sachverhalte für die es eine ausreichende Anzahl verlässlicher Quellen gibt, als vollendete Tatsachen zu schildern. Genügend Quellen hatte Pfister. Seehofer selbst hatte ihm lang und breit von seiner Modelleisenbahn erzählt. Und die „Spiegel“-Redakteure Ralf Neukirch und Konstantin von Hammerstein, die selbst im Keller von Seehofers Ferienhaus gewesen waren und dort die Märklinbahn HO im Maßstab 1:87 gesehen hatten, konnten die Ausführungen des bayerischen Ministerpräsidenten nur bestätigen.

Pfister war sich keines Vergehens bewusst, als er am Freitag bei der Preisverleihung freimütig einräumte, das Spielzeug Seehofers nie mit eigenen Augen gesehen zu haben. Er hatte drei verlässliche Quellen für seine Schilderung. Das ist nicht nur nach „Spiegel“-Maßstäben ausreichend.

Doch bei einer klassischen Reportage zählt nur das, was man selbst gesehen und gehört hat. Offenbar hat Pfister die Erfordernisse einer „Spiegel“-Story mit denen einer Reportage verwechselt.

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