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Energie Intelligente Steuerung

Das Stromnetz steht vor seiner größten Revolution

Waschmaschinen: Sie sollen mit dem schlauen Stromnetz verbunden werden Waschmaschinen: Sie sollen mit dem schlauen Stromnetz verbunden werden
Waschmaschinen: Sie sollen mit dem schlauen Stromnetz verbunden werden
Quelle: picture alliance / dpa/dpa-Zentralbild
Energieversorger und IT-Konzerne sollen das "intelligente Stromnetz" entwickeln. Es hilft beim Energiesparen – und bei der Fernsteuerung von Waschmaschine und Co.

Da schlägt das Erfinderherz höher: Ein Kühlschrank mit Internet-Anschluss, der Pizzen und Milch beim Lieferdienst ordert? Eine Waschmaschine die von alleine anspringt, wenn in der Nacht der Strom billig wird? Mit dem Smartphone zu Hause schon mal die Jalousien runterlassen? Alles kein Problem auf der Computermesse Cebit, die am Dienstag in Hannover beginnt. Die Show für Technikbegeisterte hat in diesem Jahr einen neuen Trend zur „intelligenten Wohnung“ für sich entdeckt und „smart homes“ zu einem Messeschwerpunkt erklärt.

Vieles, was dort nach einer Spielerei für Computerfreaks aussieht, hat freilich einen ernsten Hintergrund: Denn die elektrischen Haushaltsgeräte in den 48 Millionen deutschen Wohnungen sollen idealerweise künftig über Internet oder Mobilfunk fernsteuerbar sein. Vor allem Tiefkühlschränke, Waschmaschinen und Trockner sollen notfalls als Energiespeicher und -puffer dienen können, wenn mal wieder zu viel oder zu wenig Wind- und Solarstrom ins Leitungsnetz drängt. Energie-Experten nennen das „demand management“, also Nachfragesteuerung. Die Methode gilt als größte Hoffnung, um mit dem Problem des witterungsbedingt schwankenden Ökostromaufkommens fertig zu werden. Doch viele Probleme sind noch ungelöst.

Das Prinzip ist simpel: Kommt zu viel Windenergie herein, werden überschüssige Kilowattstunden in ein paar Millionen Tiefkühlfächern „geparkt“, indem man diese ein paar Grad kälter macht. Fehlt Strom im Netz, weil Flaute herrscht oder die Sonne nicht scheint, stellt der Energieversorger die Kühlfächer zwischenzeitlich ab. Da die gespeicherte Kälte eine ganze Weile vorhält, kann man mit der eingesparten Energie Windflauten überbrücken, ohne gleich Atom- oder Kohlekraftwerke hochfahren zu müssen. Der Kunde, der mitmacht, merkt von alldem nichts, profitiert aber von einem günstigeren Stromtarif.

So weit die Vision. Nur: Das ganze funktioniert nur, wenn das „smarte“ Haus auch an ein „smart grid“, ein intelligentes Stromnetz, angeschlossen ist. Und das wiederum muss von intelligenten Stromzählern („smart meter“) ständig mit aktuellen Verbrauchsdaten versorgt werden. Energie- und Telekom-Konzerne sollen sich deshalb zusammentun, um herauszufinden, wie man das bislang simple Stromkabel mit Informations- und Kommunikationstechnik optimal aufmotzt. Denn schon 2014, so der Plan der Bundesregierung, sollen die Haushalte in Deutschland möglichst flächendeckend mit den neuen „smarten“ Stromzählern ausgestattet sein.

Ein ambitionierter Zeitplan. Um die Dinge voranzubringen, wurden die Energieversorger gesetzlich verpflichtet, ab Ende 2010 dem Endverbraucher einen Stromtarif anzubieten, „der einen Anreiz zur Energieeinsparung oder Steuerung des Energieverbrauchs setzt“. So sollen „zeit- und lastvariable Tarife“ die Bürger animieren, Waschmaschinen und Trockner in der Nacht anzuwerfen, weil dann meist Strom-Überangebot herrscht.

Ob der Plan aufgeht, ist allerdings fraglich. Denn zuständig für die Ertüchtigung und Steuerung des Stromnetzes sind nicht etwa die großen, kapitalstarken Energiekonzerne. Das deutsche Niederspannungsnetz, um das es hier geht, liegt mit einer Gesamtlänge von rund 1,2 Millionen Kilometern in den Händen von rund 900, zum Teil sehr kleinen, Stadtwerken und Regionalversorgern. Als Träger der informationstechnischen Revolution der Stromversorgung sind viele von ihnen schlicht überfordert.

„Wir denken in unterschiedlichen Kategorien“, sagte unlängst August-Wilhelm Scheer, Präsident des IT-Verbandes Bitkom, an die Adresse der Kollegen aus der Energiewirtschaft. Die Informationstechnik sei an rasante Innovationszyklen gewöhnt, während die Stromwirtschaft in Zeithorizonten von bis zu 60 Jahren plane. „Bei uns ist alles viel brodelnder, das macht eine Verständigung zwischen unseren Branchen schwierig.“ Jetzt aber müssten „Elektriker wissen, was eine IP-Adresse ist, und Informatiker müssen lernen, wie man Energienetze steuert“.

Scheers Skepsis scheint berechtigt. Bei der Einführung von „smart grids“ macht die Energiewirtschaft nicht wirklich Druck. Dafür spricht eine Stichprobe des Internet-Verbraucherportals Verivox, das die neuen zeit- und lastvariablen Tarife der 100 größten Energieversorger unter die Lupe nahm. Ergebnis: Wer sich einen intelligenten Stromzähler einbauen lässt und die Waschmaschine nur noch nachts laufen lässt, kann derzeit kaum Geld sparen: Im Durchschnitt gerade einmal 18 Euro im Jahr. Die Preisunterschiede sind dabei enorm. Bei vielen Stadtwerken zahlen die sparwilligen Verbraucher sogar noch drauf. So ist laut Verivox etwa der zeitvariable Tarif der Energieversorgung Leverkusen bei gleichem Verbrauch 120 Euro teurer als der normale Grundversorgungstarif.

Zumindest unübersichtlich ist auch der Tarif „EnergieNavi“ der E.on Avacon: Wer hier unterschreibt, muss für seinen Strom tagsüber mit 25,95 Cent recht viel bezahlen. In der Zeit von 21 Uhr abends bis sieben Uhr morgens kostet die Kilowattstunde nur noch 22,96 Cent. Eigentlich ein Anreiz, den Trockner spät anzuwerfen und so das Netz zu entlasten. Nur: Sowohl der Tag- als auch der Nachttarif liegen bei der E.on Avacon derzeit noch über dem Grundversorgungstarif von 22,79 Cent. Ein Anreiz zum Tarifwechsel ist das nicht.

Das Einsparpotenzial ist gering

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Erschwerend kommt hinzu, dass der jährliche „Grundpreis“ beim neuen Avacon-Tarif mit 145,37 Euro im Jahr mehr als doppelt so hoch ist wie der Grundpreis beim herkömmlichen Tarif. Für die Installation des Stromzählers werden einmalig weitere 94,01 Euro fällig. Der ist zwar mithilfe von Mobilfunk „fernablesbar“, doch muss der Verbraucher für die „Messdienstleistung“ trotzdem 35,70 Euro pro Jahr berappen. Kunden findet E.on Avacon wohl überhaupt nur, weil das Unternehmen die Zählerkosten vorerst erstattet und dem Kunden einen „Bonus“ von 175 Euro auszahlt – sowie einen weiteren Bonus von 50 Euro, wenn er seinen Stromverbrauch erfolgreich um zehn Prozent gedrückt hat. Wohltaten, die allerdings meist nur für Vertragsabschlüsse bis Ende März gelten. Aus Sicht von Peter Reese, Leiter Energiewirtschaft bei Verivox, sind fast alle zeitvariablen Angebote der Energieversorger „bisher nicht wettbewerbsfähig, da sie von Verbrauchern viel Aufmerksamkeit verlangen und ihr Einsparpotenzial nur gering ist“.

Bleibt es bei solchen Tarifangeboten, dürfte die Nachfrage nach „intelligenten Stromzählern“ wohl noch für einige Zeit höchst überschaubar bleiben. Dennoch bereiten einige Energiekonzerne ihre „Hardware“ bereits auf das Zeitalter der intelligenten Netze vor. RWE etwa hat sich mit Vodafone verbündet und legt überall, wo eine Stromleitung verlegt wird, auch gleich ein Glasfaserkabel für den Datenverkehr mit in den Graben.

Auch die Deutsche Telekom mischt mit

Auch die Deutsche Telekom hat die intelligenten Netze zu ihrem Wachstumsfeld erklärt. Wie kein anderes Unternehmen klopft sie derzeit an die Türen der Energieversorger, um mit ihnen ins Geschäft zu kommen. Mit mehr als 30 von ihnen hat der Konzern inzwischen Verträge abschließen können. Telekom-Chef René Obermann hat für seinen Vorstoß in die Energiewelt im vergangenen August eigens die Elektrotechnikerin Gabriele Riedmann de Trinidad vom Schweizer Stromzähleranbieter Landis + Gyr abgeworben.

Die Telekom-Managerin mahnt zur Eile. Für das Europa-Ziel, bis 2020 acht von zehn Haushalten mit der neuen Technik auszurüsten, müssten eigentlich täglich 12.000 intelligente Stromzähler in Deutschland installiert werden. „Es ist derzeit aber nur ein Bruchteil davon“, sagt sie. Nicht zuletzt kämpfen alle Beteiligten mit fehlenden Standards. Allein in Deutschland gebe es 60 unterschiedliche Zähler von 20 Herstellern, die untereinander nicht kompatibel seien.

Die hohen Kosten, die bei der Aufrüstung von 1,2 Millionen Kilometer Niederspannungskabel entstehen, können auch Branchenriesen nicht schultern. In Friedrichshafen am Bodensee hat die Telekom einen ganzen Stadtteil mit den neuen Zählern ausgerüstet. Die ernüchternde Erfahrung dabei: Wenn man nicht ganze Straßenzüge versorgt, wird der Einbau von Smart Metern zu teuer. Im Grunde, so heißt es im Unternehmen, müsste der Ausbau zumindest für die ersten zwei Jahre subventioniert werden. Nach Aussage von Experten warten viele Versorger auf eine solche Initiative, die von der Bundesregierung ausgehen müsste, und verweisen auf das Ausland. In China und Südkorea beteiligt sich der Staat längst mit Milliardensummen am Ausbau der intelligenten Netze.

In Europa hingegen hat man sich noch nicht einmal auf die Technik geeinigt. Viele Projekte weisen inzwischen Schwächen auf. So zeigt sich mittlerweile, dass die ursprünglich gewünschte Datenübertragung über die Stromnetze, was gemeinhin als Powerline bezeichnet wird, für die intelligenten Netze überhaupt nicht taugt. Sobald eine größere Zahl an Haushalten angeschlossen ist, benötigen die Stromnetze Stunden bis Tage, um diese Daten zu empfangen.

Wo die Datenübertragung so nicht funktioniert, müssen eben Glasfaserleitungen gelegt oder Mobilfunktechnik wie GPRS genutzt werden. Unternehmen wie die Telekom wittern genau hier ihr Geschäft. Wo früher die Versorger einmal im Jahr die Zählerdaten meist noch mit Hausbesuchen abgelesen haben, türmen sich bei einem viertelstündlichen Datenabruf rund 35.000 Datensätze pro Haushalt im Jahr auf. Die Versorger sind darauf nicht vorbereitet, glaubt die Telekom. „Wir haben mit solchen Umfängen Erfahrungen“, sagt de Trinidad und verweist auf das Mautsystem Toll Collect. Inzwischen hat die Telekom ein komplettes Paket geschnürt, bei dem sie für die Versorger die Installation der intelligenten Stromzähler, das Auslesen der Daten und sogar die monatliche Rechnungsstellung übernimmt. Weil allerdings noch kaum ein Stromversorger den Verbrauchern dafür attraktive Tarife anbieten will, hält sich die Nachfrage in Grenzen.

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