Eignet sich das neue XING noch als Business-Netzwerk?

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Für viele meiner Kontakte ist XING im Geschäftsalltag nicht mehr wegzudenken. Wir tauschen uns mit kleinen Informationshäppchen untereinander aus oder schreiben private Nachrichten mit kreativen Gedanken und Fragen, promoten oder buchen Events und diskutieren in Gruppen. Anfang März 2011 führte XING im Rahmen einer Produktoffensive den von Twitter und Facebook bekannten Informations- und Nachrichtenstream ein. Bringt diese Produktoffensive wirklich Neues für Netzwerker?

Die Neuerungen beinhalten ein generelles Upgrade der Statusmeldungen aus dem Kontakt-Netzwerk, eine Aktivitätsübersicht in manchen Benutzerprofilen sowie eine neue mobile Webseite und Android-App. In einem weiteren Update zu diesem Feature berichtet das Unternehmen vornehmlich zur Sicherheit und Privatsphäre. Die Begründung für den Wechsel in der Darstellung der Statusmeldungen wird durch Nutzertests und erhöhte Wünsche nach Feedbackmöglichkeiten gegeben.

Vor fast drei Jahren wurde ich noch persönlich nach Hamburg eingeladen, um bei dem Pre-Test zum bevorstehenden Re-Branding von openBC zu XING dabei zu sein. Damals prüften Familienmitglieder und Freunde, aber auch externe Gäste wie Meinungsmacher, Blogger oder Journalisten, das neue System auf Herz und Nieren. Dieses Mal hörte ich zumindest von niemandem, dass ein solches Happening von XING zur Produkteinführung zelebriert wurde, aber in diesem Fall war auch nur ein kleines Update und kein Re-Branding an der Tagesordnung.

Erzeugt das Grundrauschen informative Mehrwerte?
Entgegen der einstigen Auflistung bei „Neues aus meinem Netzwerk“ mit kurzen, meist einzeiligen vom System automatisierten sowie manuellen Statusupdates, werden angemeldete Nutzer über die neue Timeline sehr ausführlich mit Updates der Kontakte versorgt. Zudem sollen die Profile mit einem Aktivitäts-Stream ausgerüstet werden, um keine statischen Lebensläufe, sondern den Profilen vermeintlich echtes Leben einzuhauchen. Jeder Kontakt darf in XING individuelle Kommentare zu einzelnen Informationshäppchen abgeben und sich dafür „interessieren“. Dadurch entsteht ein vollkommen neues Grundrauschen bei XING, das wiederum zu mehr Interaktivität der Nutzer anregen soll.

Facebook beweist sich als einer der erfolgreichsten Exportschlager aus den USA. Wirklich jeder versucht, ein Stück vom großen Kuchen des Geschäftsmodells ab zu bekommen. Am deutschen Online-Markt behaupten sich nur wenige Unternehmen erfolgreich. Als deutsches Phänomen imitieren verschiedene Anbieter einzelne Teile oder kopieren das gesamte User-Interface von Facebook für ihre eigenen Portale. Dieser Relaunch bei XING erinnert verdächtig an die von Facebook bekannten Streams und Informationsmechanismen, die vordergründig auf die Unterhaltung der Nutzer abzielen.

Braucht ein Business-Tool einen Entertainment-Charakter?
Während die Nutzer von Facebook das private Ambiente genießen, konzentrieren sich die Mitglieder bei XING auf ein erhöhtes Maß an Seriosität, Kompetenz und Reputation. Diese digitale Visitenkarte dient zugleich als Ersatz für das bekannte Outlook-Adressbuch. Wie im obigen Screenshot zu sehen ist, lassen sich nur noch magere fünf Statusmeldungen mit großformatigen Profilbildern und Zusatzangaben auf der Startseite von XING darstellen. Früher konnte ich mit einem Blick bis zu zwölf verschiedene Updates einfangen, die in einer sehr kompakten Darstellung alle Informationen auf einen Blick boten. Die eigentlichen Eyecatcher bestanden vor wenigen Wochen aus den Namen und Daten. Aber jetzt geht der Blick eher auf die Profilbilder und die eigentliche Information verliert ihren Mehrwert: Die Business-Daten verkommen zur Nebensächlichkeit.

Im Kern nutzte ich XING im Sinne eines Business-Tools jedoch nur teilweise als Informationspool, um mich über die neuesten Errungenschaften einzelner Kontakte zu informieren. In der Regel sind diese Informationen für mich rein persönlich absolut irrelevant und bieten keinen nennenswerten Mehrwert. Die neuen Kontakte meiner Kontakte sind weniger von Interesse, zumal viele Kontakte sich mit Arbeitskollegen oder ehemaligen Kollegen vernetzen. Schließlich haben die wirklich wichtigen Kontakte erkannt, dass Vitamin-B das A und O bei XING ist. Sie blenden die Informationen über die Privatsphäre-Einstellungen bereits für den Nachrichtenstream aus oder lassen nicht zu, dass ihre eigenen Kontakte einen Blick auf das Kontakt-Netzwerk erhalten.

Auch einzelne Gruppenbeiträge in mehreren Zeilen anzureißen und mit Bildchen zu verlinken, widerspricht meinem informativ orientierten Nutzungsverhalten in einem solchen Netzwerk. Entweder lese ich die Gruppenbeiträge, weil die Überschrift attraktiv genug ist, um einen Klick zu erzeugen. Oder der Gruppenbeitrag liefert keine Mehrwerte.

Selbst die diversen Statusmeldungen einzelner Mitglieder werden durch das Profilbild rein optisch sehr ausführlich dargestellt. Hier steht nicht mehr der Gedanke von einem kurzen Informationsaustausch über das Portal, sondern vielmehr das erlebbare Entertainment für die Nutzer im Vordergrund. Kommentare in solchen Statusupdates lenken von der eigentlichen Diskussion, die meist auf der externen Seite stattfindet, bereits ab. Immerhin haben die Mitarbeiter von XING gefühlt positiv und schnell auf das Feedback der Nutzer reagiert. Auch meine individuellen Wünsche und Kritikpunkte, die ich über XING und Twitter kommunizierte, wurden direkt aufgegriffen. Vielleicht findet auch hier zu meinem Artikel eine konstruktive Diskussion statt?

Fazit: Das neue XING liefert den Information-Overkill
Nach etwas mehr als einer Woche mit den neuen Features von XING muss ich leider feststellen: Die Informationen und das Feedback zu einzelnen Statusmeldungen rauschen im Stream zu schnell durch, so dass selbst der Informationsgeber das Feedback in seinem Stream nicht mehr sehen kann. Insgesamt fehlen Funktionen zur Benachrichtigung, dass ein Kontakt ein Statusupdate „geliked“ oder kommentiert hat. Zu viele relevante Themen und Daten fallen auf die hinteren Plätze. Zugleich steht XING in starker Konkurrenzsituation mit dem international ausgelegten LinkedIn, das sich auch hierzulande immer größerer Beliebtheit erfreut.

Wenn XING sich als Business-Netzwerk behaupten möchte und den Unterhaltungsgedanken adaptieren will, so wie es bereits LinkedIn mit den integrierten Statusupdates von Twitter und Konsorten betreibt, werden über kurz oder lang die XING-Mitglieder aufgrund der gering ausgeprägten Internationalität schnell abwandern. Zwar bietet LinkedIn genau diesen Information-Overkill an, aber für Business-Kontakte außerhalb Deutschlands ist die Präsenz bei LinkedIn zum Pflichtprogramm geworden. Der internationale Konkurrent wird sich als künftige Anlaufstelle für Professionals und Geschäftsleute entwickeln. Ähnlich wie im Fall der VZ-Netzwerke wird sich XING mit genau diesem Problem der Lokalität und Stärke im rein deutschsprachigen Raum auseinandersetzen müssen. Ob dieser Machtkampf mit den US-Portalen im Fall von XING gelingen wird, bleibt leider fraglich. Die Marktmacht von Übersee ist nicht zu unterschätzen, und die aktuelle Produktoffensive entfernt die optischen Alleinstellungsmerkmale des deutschen Portals, indem sich zu stark an die Vorbilder aus Übersee hinsichtlich Funktionen und Usability angelehnt wird.

11 Kommentare
  1. Pixelpatin sagte:

    Ich muß mich der Meinung des Authors anschließen! Mich stört am meisten dass dieses neue Xing-Feature absolut auf Kosten der Übersichtlichkeit geht. Während ich vorher auf einen Blick einen guten Überblick über mein Businessnetzwerk bekommen habe, bin ich nun eher irritiert. Es begeistert mich auch nicht dass „jeder“ auf den Facebook-Zug aufspringen will. Bin mal gespannt wie sich das dann mit Xing weiter entwickelt!

  2. Indianer3c sagte:

    Sehr sympathisch noch jemand der im Jahr 2010 stehengeblieben ist „…Anfang März 2010 führte XING im Rahmen…“. Persönlich nutze ich XING noch nicht allzu lang. Mich persönlich stören die Änderungen nicht. Jeder Nutzer wird XING anders nutzen und man muss ja nicht auf seiner Startseite verharren. Andererseits glaube ich, dass XING von vielen Nutzern größtenteils passiv genutzt wird und diese sich dort nicht täglich einloggen. Denke überwiegend wird die Änderung für viele Nutzer einen Mehrwert darstellen, weil die größte Aufgabe die ein Netzwerk, sei es nun Business oder Privat, besteht sicherlich darin seine Nutzer bei Laune zu halten und zum Mitmachen zu aktivieren.

  3. Frank Stratmann sagte:

    Ich kann diese Meinung nicht teilen. Die 5 Statusmeldungen im Stream auf der Startseite lassen sich über den Textlink „Mehr“ unten, mitte rechts auf mehrere Tage erweitern. Selbst bei einem großen persönlichen Netzwerk. In dieser Ansicht taucht dann auch der Filter oben, mitte links auf, der es mir erlaubt, relevantes hervorzuheben. Neuerdings wird XING mit facebook verglichen, dabei hat linkedin diesen Stream auch seit einiger Zeit etabliert. Zur vertiefenden Meinungsbildung empfehle ich diesen Link: – Nicht nur das iPad ist jetzt 33% schmaler, sondern auch XING.

  4. OliverG sagte:

    Hi,

    mir geht es grad andersrum, für mich werden aktive XING-Nutzer jetzt sichtbarer und ich wiess: dei regaieren ggf. auch und mehr als einmal habe ich mir gewünscht, auf Statusnachrichten öffentlich regaieren zu können. D.h. IMO wird XING jetzt effizienter. 8Die Nachrichten hagab es ja schon vorher, man konnte nur schlechter reagieren und hat sie leichter übersehen.

    Auf ein Verlosungsexperiment bei XING haben 19 (!) einer Kontakte reagiert, d.h. 1% des Netzwerks. Die Reichweite dürfte deutlich höher gewesen sein.

    Und ich hab fast 1900 KOntakte und bei mir geht es NICHT schnell, dass das vorbeirauscht, ich öffne halt die ‚*große‘ Seite. (Jeden Morgen automatisch …)

    Die Frage ist doch nicht ‚ist jetzt das GANZE Tool nutzlos?‘ (pardon me? WTF?) sondern: ‚We nutze ich das neue Feature sinnvoll‘. (Man MUSS ja nicht chatten da ;) Und chatten tut man auch beim Business Lunch …)

  5. milupa sagte:

    Als langjähriger xing-Nutzer erschlägt mich dieses neue „Feature“! Es nimmt einen großen Teil der Startseite ein, lässt sich weder abschalten noch verrücken (wie viele anderen Elemente der Startseite) und enthält zu 80-90 % vollkommen überflüssige Informationen. Das ist kein overload, das ist overkill! Womit das Motto der TV-Werbung „klarer“ wird: „Und es hat xing gemacht“.
    Mein Fazit: Xing verliert bei dem Versuch, anderen nachzueifern immer mehr an eigenem Profil und damit an Wert im Business-Sinne.
    Ganz zu schweigen von dem katastrophalen Beschwerdemanagement und dem Umgang mit Feedback in den entsprechenden Foren-Streams – in den die hauseigenen xing-Moderatoren z.T. wie die Sau im Walde bzw. der Elefant im Prozellanladen agieren. Hilflos und aggressiv.
    Zwei Stichworte, die als „Corporate Image“ auch gut auf die neue Startseite zutreffen.

  6. Wolfgang W. sagte:

    Ja, ja, groß rumjammern können Sie, aber mal im Ernst, wenn ich mich in einem Businessnetzwerk bewege, gehe ich davon aus, dass es nur um Business geht. Leider wird dies von vielen falsch interpretiert und die liefern alles 12 Stunden einen neuen Gefühlsspruch mit unsäglicher Groß- und Kleinschreibung oder die liefern jede Tasse Kaffee die sie trinken. Diese Leute haben meiner Meinung nach nichts aber auch gar nichts auf einem Businessnetzwerk zu suchen.
    Aber soll Xing sich danach richten, was die Mitglieder so alles posten, oder soll Xing ein effektives und gutes Netzwerk sein. Für mich letzteres und da ist es allemal sinnvoller, wenn ich direkt auf eine Statusmeldung, eine Veränderung reagieren kann, als wenn ich ständig danach suchen muss. Okay, es könnte ein wenig kleiner dargestellt werden, aber ansonsten ist diese Veränderung gut gelungen. Und Xing bessert schon nach, seit heute kann man z. B. Kontakte, die nerven, einfach ausblenden. Und angekündigt ist auch, dass man in Kürze einzelne Statusmeldungen, Änderungsmeldungen etc. generell ausblenden kann, so wie man bei sich selbst einstellen kann, was man alles in diesem Neues aus dem Netzwerk veröffentlichen will. Davon haben aber wahrscheinlich die meisten Nutzer von Xing noch nie etwas gehört, geschweige denn gesehen. Dabei gehört dies meiner Meinung nach zur Grundinformation, wenn ich irgendwo beitrete, welche Möglichkeiten habe ich und welche nicht.

  7. Daniel sagte:

    Ich finde, dass Xing sicherlich eine gute Idee ist, aber es entwickelt sich immer mehr in eine Richtung, die ich persönlich nicht gutheiße.

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  1. […] aller Gewalt?TeilenTwitternVon Mike Schnoor am 16. Mai 2011Nach langer Zeit der Stille und manch kritischen Stimmen offenbart XING auf der morgen stattfindenden next11 sein neues Gewand. Das bekannte Businessportal […]

  2. […] Xing wird immer mehr zu einem zweiten Facebook entwickelt, auf dem die relevanten Dinge eher zur Nebensache werden. Da sich immer mehr Mitglieder nicht nur mit Geschäftskontakten vernetzen, sondern auch mit Arbeitskollegen, wird Xing immer uninteressanter für die Nutzung als Kontaktportal zwischen Geschäftspartnern, da man so auf Personen stößt, die für Geschäftsbeziehungen nicht wirklich relevant, sondern eher hinderlich sind. […]

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