Der Maghreb-Experte Hardy Ostry leitet für die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung das Büro für Afrika und Nahost.

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Mit sozialen Netzwerken gegen das Regime in Tunis: Facebook-Eintrag vom 11. Januar.

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Die freie Welt feiert die Jugend aus Nordafrika, welche die "Tyrannen aus Tunis herausgetweetet" haben soll. Maghreb-Experte Hardy Ostry sieht dies differenzierter. Und er warnt vor Manipulationen in sozialen Netzwerken.

Hardy Ostry, kann man bei den Ereignissen in Tunesien von einer Social-Media-Revolution sprechen?

Ich wäre vorsichtig mit vorschnellen Klassifizierungen. Klar ist, dass Facebook und Twitter eine enorm mobilisierende Wirkung hatten, sie waren vor allem aber auch während der kritischen Tage wichtige Informationsinstrumente...

...Leute haben sich ausgetauscht, wo Demonstrationen stattfanden, welche Stadtteile zu meiden sind und sich verabredet.

Genau. Als "freie" Medien sind sie aber auch nicht gefeit vor Manipulation, das sollte stets mitberücksichtigt werden.

Nate Anderson schreibt auf arstechnica.com, die Jungen hätten die "Tyrannen aus Tunis herausgetweetet".

Das ist sicherlich eine sehr schöne sprachliche Stilblüte, aber auch hier gilt: Monokausale Erklärungen greifen angesichts der komplexen Ereignisse immer zu kurz. Als Mobilisierungs- und Informationsinstrument hat Twitter eine Rolle gespielt, aber ich würde dem nicht die alleinige Bedeutung beimessen.

m Iran waren twitternde Protestierende noch ein neues Phänomen. Haben die Widerstandskämpfer in Tunesien vom "Fall Iran" gelernt?

Viele Jugendliche in Tunesien waren bereits vorher gut miteinander vernetzt. In der öffentlichen Meinung und der Perzeption traten die neuen Medien allerdings erst im Umfeld und Nachgang der Wahlen im Iran 2009 in das politische Bewusstsein. Plötzlich war ganz klar, dass dies auch politische Instrumente sein können, die von autoritären Regimen schwer zu beherrschen sind.

Im Iran, in Tunesien und seit längerem in China versuchen Machthaber, die neuen Medien zu blocken. Kann das längerfristig funktionieren?

Nein, ich bin davon überzeugt - und dies belegen alle unsere Erfahrungen - dass man Facebook und Co. auf Dauer nicht stoppen kann. Keine Diktatur der Welt wird dies auf Dauer können.

Auch die Regierungen autoritärer Regimes nutzen Facebook und Co. Wer sitzt schlussendlich am längeren Hebel?

Das ist schwer zu sagen: Man kann den Erfolg oder den Misserfolg der einen oder anderen Seite nicht monokausal mit den Usern in Verbindung bringen.

Kann die Mobilisierung durch das Internet auch Nachbarregimes - wie etwa Libyen - gefährden?

Noch einmal: Ich glaube nicht, dass die neuen Medien allein ein Regime ins Wanken bringen. Es setzt das notwendige Protestpotential voraus und natürlich auch die technischen Voraussetzungen. Diese sind in Libyen auf die Masse bezogen ungleich schlechter.

Was für eine Überbewertung von Social Media spricht: Die Revolutionen von 1989 waren auch ohne solche Kommunikationsmittel erfolgreich.

Das ist richtig, aber jede Generation wird immer zu den Mitteln der Kommunikation greifen, die sich bieten. Die "Süddeutsche" schreibt: "Eine Revolution 2011 wird in einem auch nur halbwegs an die Moderne angeschlossenen Land deswegen notwendigerweise auch auf Twitter und bei Facebook stattfinden. Was aber noch lange nicht heisst: wegen Twitter oder Facebook." Das trifft den Sachverhalt sehr gut. (Das Interview führte Reto Knobel.Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)