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Fotostrecke: Wie die Technik den Konsum verändert

Foto: Corbis

Neue Konsum-Ära Wie wir 2020 leben werden

Schlaue Handys und soziale Netzwerke verändern unser Einkaufsverhalten: Kunden werden allwissend, die ganze Welt wird zur Werbetafel - und zum Warenregal. Ein Tag im Leben eines Konsumenten im Jahr 2020.

Du erwachst und hörst deine Lieblingsmelodie. Das Radio hat Weckzeit und Song automatisch gewählt. Es ist an deinen Google-Kalender angeschlossen, an deinen Facebook-Account und an andere Datenwolken, in denen deine Termine, Vorlieben und Wünsche gespeichert sind.

Du gehst ins Bad und putzt dir die Zähne. Auf dem Spiegel blitzen Zahlen auf. Durchschnittliche Zahnputzzeit deiner Facebook-Freunde: 2 Minuten, 12 Sekunden, darunter, in roten Ziffern, deine Zeit: 1 Minute 48 Sekunden. "Ihre Freunde haben ein zehn Prozent niedrigeres Kariesrisiko als Sie", mahnt der Spiegel. Eine Werbung der Schnäppchenseite Groupon erscheint: "Wenn Sie noch heute einen Termin für eine Zahnreinigung machen, bekommen Sie 60 Prozent Rabatt."

Eine Szene wie aus "Brave New World", "1984" oder einer anderen Antiutopie. Und doch könnte sie den Alltag in einer nahen Zukunft beschreiben. Den W-Lan-Wecker , die intelligente Zahnbürste  und den Badezimmerspiegel mit eingebautem Werbebildschirm  gibt es schon. Ebenso soziale Netzwerke, die Geräte mit hochpersönlichen Informationen füttern können. Und Smartphones, mit denen man immer und überall ins Internet kann.

Damit sind Technologien auf dem Vormarsch, welche die Macht haben, jeden Winkel der Welt zum Warenregal zu machen, die Beziehung zwischen Verkäufer und Kunden umzudefinieren und welche die Freiheit des Konsumenten gleichzeitig erweitern und bedrohen. Technologien, die bereits begonnen haben, unsere Wahrnehmung und unser Verhalten zu ändern. Immer engmaschiger wird das mobile Internet. Eine neue Konsumära bricht an.

Wie die Welt zum Werbebanner wird

Du spazierst durch die Stadt, an sandsteinfarbenen Häusern vorbei. An einem Zebrastreifen, in einem Menschenpulk hetzt du über die Straße. Du aktivierst deine W-Lan-fähige Kontaktlinse und scannst die Umgebung nach Angeboten für ein Frühstück ab.

Du blinzelst, und eine neue Ebene überzieht die Wirklichkeit. Halbtransparente Werbebanner schweben durch die Luft. Du folgst der Geisterreklame. "Salami-Pizza, bis 12 Uhr zum halben Preis", lockt ein italienisches Restaurant. "Großes Brunchbuffet, nur 5,99 Euro für Freunde", wirbt das Café Paris vor einer Sandsteinfassade . Du zückst dein Handy, surfst auf die Facebook-Fanseite des Cafés, drückst den "Das gefällt mir"-Knopf. "Hallo Freund", begrüßt dich der Kellner am Entree. "Tritt ein."

Schon heute ist die Welt voller virtueller Banner, aber die meisten Menschen sehen sie noch nicht. Wer will die Welt schon permanent durchs Display seines Smartphones betrachten? Doch die virtuelle Werbeschlacht wird zunehmen. IT-Konzerne wie Facebook, Google oder Nokia experimentieren mit Formaten, um Kunden von der Straße in Läden zu lotsen und nach Geschäftsabschluss mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Die Modekette H&M lockte Kunden kürzlich mit Facebook-Fan-Rabatten für T-Shirts in ihre Läden.

Ortsbezogene Dienste haben allein in Amerika ein geschätztes Volumen von 90 Milliarden Dollar. Experten erwarten, dass unsere Umwelt bald von virtueller Werbung durchdrungen sein wird, mit sogenannten targeted ads, die uns auf Schritt und Tritt folgen. "Im Moment kann ich mir bei einem Online-Händler ein Angebot für Skier anschauen und bekomme am nächsten Tag auf einer völlig anderen Web-Seite ein entsprechendes Banner eingeblendet", sagt Christian Floerkemeier, Computerwissenschaftler an der ETH Zürich. "Künftig kann uns solche Werbung auch in der realen Welt heimsuchen."

Dass das Handy-Display irgendwann von Brillen oder Kontaktlinsen ersetzt wird, ist ebenfalls nicht nur Science Fiction: Microsoft und die Washington-Universität versuchen sich bereits an einer entsprechenden Lösung .

Wie der Konsument allmächtig wird (und was die Läden dagegen tun)

Du läufst durch den Supermarkt, scannst Joghurt, Brot und Butter mit dem Telefon, legst alles in deine Einkaufstasche. Die Milch teilt dir beim Einscannen mit, dass sie aus ökologischem Anbau stammt und ganz in der Nähe produziert wurde. Sie trägt das Siegel "Alpha-Öko". Auf den Rotwein erhältst du zehn Prozent Rabatt. Als Belohnung: Es ist die zehnte Flasche, die du von dieser Sorte kaufst.

In der Elektro-Abteilung schiebt sich ein Werbebanner in dein Sichtfeld. "Die Digitalkamera, die Sie sich vor einiger Zeit bei Amazon angesehen haben, gibt es jetzt im Sonderangebot." Pfeile weisen den Weg zum Regal. Du scannst die Kamera mit deinem Telefon und erfährst, dass drei deiner Facebook-Freunde sie besitzen, darunter ein Kollege, der sich mit solchen Geräten besonders gut auskennt. Du legst die Kamera zu den anderen Sachen in die Einkaufstüte und gehst zum Ausgang. Dort hältst du dein Handy gegen einen Scanner. "Sie haben bezahlt", sagt eine Computerstimme. "Vielen Dank. Einen angenehmen Tag."

Supermärkte und Geschäfte könnten sich bald stark verändern. Betrat der Kunde bislang einen Laden, hatte der Verkäufer das Kommunikationsmonopol über ihn. Diese Macht geht nun verloren: Konsumenten können sich stets detailliert informieren, können prüfen, ob es Produkte in anderen Geschäften günstiger gibt. Programme wie die iPhone-Anwendung Scandit  erlauben es Kunden, sich beim Einkauf an ihren Freunden zu orientieren. "Schon jetzt erlauben mobile Anwendungen es dem Kunden, die aus der Online-Welt bekannten Shopping-Dienste wie Preisvergleich und Produktbewertungen zu benutzen, wenn er im Laden eine Kaufentscheidung trifft", sagt Floerkemeier.

Erste Firmen versuchen dem Machtverlust entgegenzuwirken. Konzerne wie Feneberg   oder Metro  und Start-ups wie Qthru  versorgen ihre Kunden in speziellen Läden bereits mit eigenen Produktinformationen. Und sie experimentieren mit Bezahlsystemen, bei denen der Kunde die Ware selbst einscannt und im Vorbeigehen bezahlt. Dazu bedienen sie sich einer speziellen Funktechnik oder teilen eigene Scanner  mit Bezahlfunktion aus.

Durch solche neuen Dienste sammeln Läden künftig noch mehr Daten über ihre Kunden. Wozu das schlimmstenfalls führen kann, wurde schon 1998 sichtbar: Ein Kunde war in einem US-Supermarkt auf einer Joghurtlache ausgerutscht, verletzte sich schwer und wollte den Betreiber deshalb verklagen. Über die Bonuskarte des Kunden wurde rasch klar, dass der Mann seit längerem überdurchschnittlich viel Alkohol eingekauft hatte. Der Supermarktbetreiber soll gedroht haben, diese Erkenntnis in einem Prozess zu verwenden .

Wie die Welt zum Warenregal wird

Auf einem Parkplatz steigst du in einen Sofortmietwagen ein und wirfst einen Blick auf dein Versicherungs-O-Meter. Auf deinen letzten Autofahrten warst du meist umsichtig und energiesparend unterwegs. Deshalb werden dir nur 2,50 Euro Gebühr für die Fahrt nach Hause berechnet. Du zahlst per Handy und fährst los.

Auf dem Weg gerätst du in einen Stau. Auf der Spur neben dir hält ein Mercedes. Sein Fahrer trägt einen violetten Kaschmirpullover, der dir gut gefällt. Du fotografierst den Mann mit deinem Handy und wirst zur Web-Seite eines Herrenausstatters weitergeleitet. Per Mausklick bestellst du ein Exemplar des Pullis in grün. Dann fährst du langsam weiter .

Durch das mobile Internet wird die ganze Welt zum Warenregal. Shopping ist überall und jederzeit möglich. Bereits jetzt existieren Anwendungen wie Snap Tell  und Kooaba , mit denen man CD-, DVD- und Büchercover fotografieren und online bestellen kann. Die Anwendung Shazam  identifiziert Songs, die man unterwegs hört - auch sie kann man sofort online kaufen. Bei der Identifizierung von Weinflaschen, Elektrogeräten - oder Kaschmirpullovern - versagt die Technik indes noch regelmäßig, doch die Bilderkennungs-Software wird laufend verbessert.

Eine andere Technik, die sich in den USA verbreitet, ist der Verkauf von Versicherungen mit variablen Raten. Bei der Firma Progressive  messen spezielle Geräte das Verhalten von Autofahrern und stufen sie in bestimmte Risikokategorien ein - je defensiver man fährt, desto günstiger ist die Police. Die Technik wird von vielen skeptisch beäugt, denn sie ist wie ein Über-Ich, das das eigene Verhalten permanent in Frage stellt.

Du parkst den Wagen und gehst ins Haus. Du würdest gern noch etwas fernsehen, aber dein W-Lan-Wecker und dein Smartphone sind sich einig, dass du besser schlafen gehen solltest. Der Spiegel im Bad schlägt vor, dass du eine Schlaftablette nimmst, um den Ausruhfaktor zu maximieren. Wenn du jetzt sofort neue Schlaftabletten bestellst, gibt dir Groupon Rabatt. Du bestellst 20 Tabletten zum Preis für 10.

Dann füllst du ein Glas mit Wasser und schluckst die Pille hinunter.

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