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S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Lob der Idiotie

Smartphones, DSL-Modems, Router - das ist alles noch viel zu kompliziert zu bedienen. Deshalb braucht der Fortschritt die Idioten: Sie meckern laut und zurecht über die Macken der Technik und doch kaufen sie die neuesten halbfertigen Produkte. Ohne Idioten keine Innovation - danke!

Für das digitale Zeitalter hat Scott Adams mit der Cartoon-Serie Dilbert das wichtigste Werk der Bürosoziologie geschaffen. In einem Comicstrip von 1992 kauft die Hauptfigur das erste Videotelefon der Stadt und wartet auf irgendeinen zweiten Käufer, um es überhaupt benutzen zu können. Während Dilbert auf den leeren Bildschirm starrt, stellt sein scharfsinniger Hund Dogbert fest: "Das Faszinierende ist, dass Fortschritt ohne Leute wie dich nicht möglich wäre."

Tatsächlich kann man den gesellschaftlichen Wert des Idioten zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht hoch genug einschätzen. Aber wie seine Kunst, die Idiotie, leidet auch der Idiot selbst unter einem ernsthaften Imageproblem. Zwei wesentliche Eigenschaften der weltweiten Idiotenschaft machen sie zu einem unverzichtbaren Motor des Fortschritts. Zum einen durch ihre Bereitschaft, wie Dilbert halbfertigen Quatsch zu kaufen; zum anderen durch die unermüdliche Aneinanderreihung von Dummheiten, die der Idiot Leben nennt.

Angesichts der Geschwindigkeit, in der Technologieunternehmen heute neue Produkte entwickeln müssen, ist es ein Wunder, dass überhaupt irgendetwas funktioniert. Halbfertiges wird mit Undurchdachtem kombiniert, damit der voreilig von der Marketingabteilung verkündete Erstverkaufstag um nicht mehr als sechs Monate überschritten wird. Das so entstandene Unprodukt vermag bei näherer Betrachtung niemanden von sich zu überzeugen. Deshalb kommen als Kunden ausschließlich Leute in Frage, denen die nähere Betrachtung fremd ist: Idioten also.

Grundeigenschaften des Idioten

Das erste iPhone von 2007 bestand aus zusammenmontierten Fehleinschätzungen, Unzulänglichkeiten und Zumutungen. Das Basismodell musste mit vier Gigabyte Speicherplatz auskommen - weniger als der erste iPod von 2001. Das schon zwei Jahre zuvor selbstverständliche UMTS hatte Apple ignoriert, genau wie die MMS, eine Videofunktion und benutzbares Bluetooth. Nicht einmal eigene Klingeltöne ließen sich installieren. Die brillante, weltverändernde Idee des neuen Bedienungskonzepts war zu Beginn eingesperrt in einen Käfig aus veralteten Bauteilen. Trotz dieser offensichtlichen Mängel fanden sich in den ersten drei Monaten anderthalb Millionen Käufer, die so die Idee am Leben hielten. Auf den Schultern dieser Idioten ruht der Erfolg der inzwischen mit 320 Milliarden Dollar wertvollsten Technologiefirma der Welt, und nicht nur Apple ist von solchen vorschnellen, unvernünftigen, werbegläubigen, unsachverständigen Idiotenkunden abhängig.

Die zweite idiotische Grundeigenschaft bildet den gesellschaftlichen Nutzen der Idioten. Es ist ihre unermüdliche, unbewusste Suche nach den jeweils dümmstmöglichen Handlungen. Ihre flache Verstandeskraft führt dazu, dass Idioten eine ständige Prüfung für die von ihnen benutzten Technologien darstellen. Fehlverwendungen, die ein Ingenieur nicht einmal unter LSD imaginieren könnte, gehen ihm ganz einfach nebenbei von der Hand, während er den leeren Akku in der Mikrowelle wieder aufladen will.

Der Idiot als Maßstab für die Wirtschaft

Besonders aktiv ist der Idiot im Internet, wo er per Kontaktformular nachfragt, wo das Kontaktformular ist und die Empörung über seinen langsamen Netzanschluss in die YouTube-Kommentare schreibt. Das Internet hat den Idioten einen Rückkanal gegeben, der ihre stumpfen Botschaften schneller und zahlreicher verbreitet als je zuvor. Ohne Rücksicht auf das eigene Ansehen oder die Grundregeln des digitalen Miteinander stürzen sie sich mit dem Mut der Ahnungslosen in jeden Kampf mit der Technik.

Das Überraschende ist: Die Idioten haben recht. Die Maschinen, die Interfaces, die digitale Vernetzung insgesamt - das alles ist viel zu kompliziert. Die absurden Fehler der Idioten offenbaren nicht ihre eigenen Schwächen, sondern die der Technik. Das Internet, dessen Fürsprecher den Anspruch seiner Weltgeltung erheben, muss im Gegenzug zugänglich für die ganze Welt sein, also auch für Idioten.

Das ewige Ziel der einfachstmöglichen Benutzbarkeit aller digitalen Dinge ist noch fern, denn die technologieformende Wirtschaft orientiert sich bisher zu wenig am Idioten. Marktforscher fahren nach Haßloch, weil es sich um die durchschnittlichste Stadt Deutschlands handeln soll. Die Werbeagentur Jung von Matt baute das "häufigste Wohnzimmer Deutschlands", um sich in den Normalverbraucher hineinzufühlen. Beide Konzepte gehen davon aus, dass der Durchschnittsmensch für den Markt am wichtigsten ist. Das ist falsch. Der Idiot muss der Maßstab für die Wirtschaft sein: "It's the stupid, economy!"

Wer die famosen Idioten sind

Idiotensicherheit ist die erste Tugend alles Digitalen. Der stete Strom idiotischer Handlungen schleift die Technologie der Welt glatt wie Flusskiesel und macht sie überhaupt erst benutzbar. Ohne den großartigen Evolutionsdruck des Idioten bestünde noch heute die reale Gefahr der Existenz von Siemens-Handys der Reihe Xelibri, einer der grauenvollsten Entwicklungen des beginnenden dritten Jahrtausends.

Wer aber sind diese famosen Idioten, von denen hier die Rede ist? Es sind wir alle - in fast allen Bereichen. Die meisten von uns haben sich in minimalen Teilaspekten wie Volkswirtschaft, Literatur des 20. Jahrhunderts oder dem Ukulelespiel aus der Vollidiotie emporgearbeitet in die Fachidiotie. Aber mit nur minimal verschobenem Kontext bricht wieder unsere Idiotie durch und das Scheitern am Gerät wird zum Normalfall. Sogar diejenigen, die die Fahrkartenautomaten in Berlin programmiert haben, stehen vor den Fahrkartenautomaten in Mannheim oder Hamburg so ratlos wie alle anderen. Und der nobelpreisnominierte Hirnchirurg verhält sich im Cockpit eines nach 1990 gebauten Autos wie ein Idiot reinsten Wassers, Dr. Jekyll und Mr. Idiot.

Die Idiotija hat allen Grund, stolz auf sich zu sein. Durch ihr Wirken sind Föne in der Badewanne nicht mehr ganz so tödlich, wird Methylalkohol mit ekelerregenden Substanzen untrinkbar gemacht, dauert es kaum mehr als vier Stunden, ein DSL-Modem einzurichten. Einige Leben und sehr viel Lebenszeit haben sie auf diese Weise dem Wohl der Gesellschaft geopfert. Danke, Idioten.

Korrektur: In einer früheren Version dieser Kolumne war zu lesen, Xelibri-Handys von Siemens seien eine der grauenvollsten Entwicklungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Tatsächlich aber wurde diese Handyserie erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts eingeführt. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

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