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Relaunch: Die neue "Times" Online

Online-Publishing Neue "Times", neue Zeiten?

Rupert Murdoch lüftet den Schleier: Die neuen Versionen seiner kostenpflichtigen "Times"-Web-Seiten sind online. Friedensangebote von Seiten Googles ignorierend will der Medienzar alle Suchmaschinen komplett aussperren. Für Google und Co wird die "Times" unsichtbar. Für die meisten Leser auch.

Auf diesen gewagten Schritt wartet eine ganze Branche mit Spannung: Am 1. Juni wird die altehrwürdige Londoner "Times" ihr Online-Geschäftsmodell umstellen. Wer sie dann im Netz noch lesen will, soll wie für die Papierausgabe ein Pfund Sterling bezahlen, oder zwei davon für eine ganze Woche Zugang. Ein satter Rabatt gegenüber dem Druckwerk.

Rund vier Wochen wird es noch eine Übergangs- und Schnupperphase geben, in der man per kostenloser Registrierung Zugang bekommt. Wer danach nicht zahlt, bekommt nichts zu Lesen, so einfach ist das.

Am Pfingstmontag lüftete Rupert Murdochs News Corp., Eignerin der Zeitung, den Schleier und veröffentlichte die neuen Versionen der Webseiten der "Times"- Tages-  und Sonntagszeitung . Das sind sie nun auch im Web, mit einem sehr zeitungshaften Layout, das aussieht, als sei es mehr für das iPad als für den Monitor gemacht (siehe Bildergalerie). Aber das ist durchaus auch Trend, wirkt moderner als die bisherige Web-Seite , die ab 1. Juni nur noch als Werbefläche für die neuen Angebote im Web stehen wird: Murdoch hat seinen prestigeträchtigen Vorzeige-Print-Titeln nicht nur neue Web-Auftritte und ein neues Geschäftsmodell verpasst, sondern sogar neue Internetadressen. Kompletter lässt sich der Bruch mit der bisherigen Online-Strategie kaum inszenieren.

Vielleicht ist dies also die letzte Woche, in der man bei der "Times" die Seitenzugriffe in Millionen zählen wird. In der die Online-Ausgabe der Zeitung es immerhin auf Platz 418 der populärsten Webseiten der Welt schafft ( laut Alexa-Ranking ). In der der Name der Zeitung auch Online eine weltweit bekannte Marke ist und fast synonym steht für "konservatives Qualitätsblatt" - immer noch, obwohl Rupert Murdoch dort bereits seit 1981 die Zügel in der Hand hält.

Damals war die Übernahme durch den australisch-amerikanischen Medienmogul als Einleitung des drohenden Abstiegs beklagt worden. Doch die "Times" konnte ihren Grund behaupten: Noch immer liegt die Druckauflage fast doppelt so hoch wie die des Hauptkonkurrenten "The Guardian", noch immer steht sie für Qualität und Konservatismus - obwohl sie seit 1981 das Revolverblatt "The Sun" ihr Schwesterblatt nennen muss. Sollte es möglich sein, dass es Murdochs "Times" auch online gelingen sollte, sich gegen alle Trends zu behaupten?

Der quantitative Niedergang ist eine ausgemachte Sache

Nicht in quantitativer Hinsicht, das glaubt man noch nicht einmal bei der "Times". 90 Prozent der Online-Leserschaft, so lauten interne Schätzungen, werden der "Times" wohl abhanden kommen. Zumindest im Web zieht damit der ewige Konkurrent "The Guardian" (Alexa-Rank: Platz 233) endgültig unaufhaltsam davon. Mit dem feinen Unterschied, dass man bei der "Times" hofft, mit der "Paywall" endlich ein Geschäftsmodell gefunden zu haben, das nicht nur Popularität, sondern auch Profit bringt.

"Das", schrieb am Montag BBC-Blogger Rory Cellan-Jones  in einer Besprechung des neuen "Times"-Auftrittes, "ist mehr als nur ein Experiment, ob Menschen bereit sind, für Nachrichten zu bezahlen. Es ist ein Schlag gegen die vorherrschende Philosophie des Online-Journalismus, die besagt, dass es das Wichtigste sei, sein Material mit dem größtmöglichen Publikum zu teilen."

So wie die BBC, Alexa-Rank Platz 44 in der Welt, und immer wieder als einer der Hauptfaktoren kritisiert, warum es Online-Publisher in Großbritannien so schwer haben, auf einen grünen Zweig zu kommen?

Tatsächlich ist es auch diese übermächtige Nachrichtenpräsenz der BBC, die für alle Bezahlmodelle der Medienunternehmen in Großbritannien das größte Risiko bleiben wird: Selbst wenn alle Verlage und Medienfirmen Murdochs Modell folgen würden, bliebe stets doch die BBC, die das erstens gar nicht dürfte und zweitens weiter kostenlos die Ware anbieten würde, von deren Verkauf andere zu leben versuchen.

Entsprechend groß sind die Zweifel daran, dass Murdochs Plan aufgehen kann - was das Interesse daran aber absolut nicht mindert. Zumal Murdoch aufs Ganze geht: Google und andere Suchmaschinen, machte News Corp nun zum Launch der neuen Web-Seiten klar, werden vollständig ausgesperrt. Über Suchmaschinen wird man also keine "Times"-Inhalte mehr finden. Wer die sucht, wird direkt zur Zeitungs-Web-Seite kommen müssen.

Widersprüchliche Signale

Das steht ein wenig im Gegensatz zu den Signalen, die erst in der letzten Woche von Google-Chef Eric Schmidt kamen: Sein Unternehmen, hatte er geäußert, sei nun "im Frieden mit Murdoch". Man rede miteinander, nicht nur über werbliche Vermarktungen, sondern auch über andere Dinge - bis hin zu Umsatzbeteiligungsmodellen.

News-Corp-Europachef James Murdoch äußerte am Freitag letzter Woche seine Verwunderung darüber, dass Schmidt auf diese Weise öffentlich gemacht hatte, dass trotz der teils heftigen öffentlichen Streitereien doch keine völlige Funkstille herrsche. Murdoch wertete die Indiskretion über die "Gespräche hinter verschlossenen Türen" als Zeichen dafür, dass Google daran interessiert sei, mit News Corp ins Geschäft zu kommen.

Bei der Veröffentlichung der neuen Seiten am Montag war das alles aber kein Thema: Die "Times" mache ab Juni die Zahlmauer dicht, so die Ansage, auch und gerade für Suchmaschinen.

Die Redaktion plant, die zu erwartenden negativen Effekte durch Selbst-Promotion per Mikroblogging (Twitter) und ähnliche Maßnahmen abzumildern. Zugleich verabschiedet sich die "Times" Online aber auch vom Web-typischen Anspruch, die Meldungslage möglichst breit abbilden zu wollen: Klasse statt Masse heißt die Devise.

Ist weniger mehr?

Schon jetzt ist augenfällig, was das heißt: Online bringen die "Times" wie ihr Sonntagsableger nun deutlich weniger Nachrichten in verminderter Frequenz, dafür präsentieren sie ihre Exklusiva üppiger und deutlicher.

Die Tagesausgabe wirkt trotzdem kleinteilig und überladen: Wie bei einer großformatigen Tageszeitung soll da möglichst viel angerissen werden - die Eingangsseite der "Times" ist offenbar genau das, ein redaktionelles Lockmittel. Nur der Seitenkopf ist einigermaßen übersichtlich gestaltet, ansonsten konkurrieren hier zu viele Inhalte in zu vielen Kästchen in viel zu vielen Gestaltungsvarianten und Schriftgrößen miteinander. Das Design, heißt es von Seiten des Unternehmens, sei das Resultat intensiver Marktforschung: Es sei das, was auf die größte Zustimmung gestoßen sei. Mitunter ist das aber durchaus nicht gut.

Weit webbiger kommt die Sonntagsausgabe daher.

Die "Sunday Times" setzt im Web mehr als bisher auf Video-Inhalte und promotet ansonsten konsequent eine Auswahl von jeweils vier Schwerpunkt-Features aus den verschiedenen "Büchern" einer Sonntagszeitung (Kultur, Style, Sport etc.). Das ist weit übersichtlicher, als man denkt: Auf einen Blick sieht man nie mehr als neun Themen. Wer sich für ein bestimmtes Ressort (z.B. Kultur) interessiert, erfährt per Maus-Over, was ihm das in verschiedenen Unterrubriken (z.B. Kunst, Film und Fernsehen, Buch, Musik) aktuell zu bieten hat. Das ist eine kompakte Form, wenige Schwerpunktinhalte auf einen Blick zu präsentieren - es ist eine Titelseiten-Logik für ein Produkt, das man dann ähnlich nutzen soll wie eine Zeitung. Interessant.

Abzuwarten bleibt nun, wie viele Menschen sich das gegen Zahlung gönnen werden. Zwei Pfund pro Woche, rechnete Alex Massie in seinem Blog-Beitrag  beim kleinen konservativen Nachrichtenmagazin "The Spectator" auf, könnte man als Schnäppchen sehen, "wenn die 'Times' die einzige Zeitung mit einer Online-Ausgabe wäre". Das aber sei nicht so, und auch wenn er persönlich vielleicht dazu bereit wäre, 104 Pfund im Jahr für die Artikel seiner Lieblingsautoren zu zahlen, könnten andere sich fragen, ob zwischen deren Artikeln und dem, was man im Web kostenlos bekommt, ein genügend großer Unterschied besteht.

In der Tat, das ist die Frage. "Die Times", überschrieb Massie seinen kurzen Blog-Post übrigens, "setzt auf Alles oder Nichts".

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