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Vorgehen gegen russische Opposition Microsoft steht im Verdacht der Komplizenschaft

Lässt sich der Software-Konzern Microsoft als Handlanger der russischen Regierung einspannen? Laut "New York Times" arbeiten die Anwälte des Konzerns eng mit staatlichen Behörden zusammen, wenn diese über Umwege missliebige Umweltgruppen, Regierungskritiker oder Zeitungen mundtot machen wollen.

Offenbar systematisch wird die angebliche Nutzung illegaler Software als Vorwand genutzt, um Computer zu beschlagnahmen, deren Datenbestand zu durchforsten und deren Eigentümer vor Gericht zu zitieren. Als jüngstes Beispiel dieser Vorgehensweise nennt die "NYT" die Umweltschutzgruppe Baikal Environmental Wave im südrussischen Irkutsk. Bereits im Januar sind das Büro der Gruppe von Polizisten durchsucht und sämtliche Computer abtransportiert worden. Der Vorwurf: Auf den Rechnern soll sich raubkopierte Software befinden.

Aktiv wurde die Polizei eigenen Angaben zufolge aufgrund eines Hinweises von einem Mann namens Dmitrij Latischew. Der habe am Tag vor der Polizeiaktion unlizenzierte Microsoft-Programme auf den Computern der Umweltschützer entdeckt und seine Beobachtung den Behörden gemeldet. Doch bei Baikal Wave kennt niemand diesen Mann - und niemand will ihn jemals gesehen haben. Warum er die Meldung gemacht hat, wollte er den "New York Times" nicht erklären.

Ohne PC arbeitsunfähig

Für die Umweltschutzgruppe jedoch hatte der Vorfall drastische Konsequenzen. Auf den beschlagnahmten Rechnern befand sich nicht nur die Dokumentation aller bisherigen Aktionen der Gruppe, sie beherbergten auch die Planungen für Proteste gegen die Wiederinbetriebnahme einer Papierfabrik am Baikalsee. Die Fabrik war geschlossen worden, weil sie mit ihren Abwässern die einzigartige Flora und Fauna des riesigen Gewässers verseuchte und Forderungen der Weltbank zur Modernisierung nicht nachkam. Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin ließ den Betrieb am Ufer des größten und ältesten Süßwassersees der Erde jedoch im Januar 2010 per Dekret wieder öffnen.

Im Bericht der "NYT" werden gleich mehrere ähnlich gelagerte Fälle aufgerollt. Das Vorgehen der Behörden folgt dabei stets demselben Muster: Unter dem Vorwand angeblicher Software-Piraterie werden Büros durchsucht und Computer konfisziert, so dass die Betroffenen nicht mehr arbeiten können. Persönliche Daten und Kontakte geraten so in Behördenbesitz.

Microsoft bietet Bürgerrechtlern kostenlose Software an

Den in Russland grassierenden Handel mit gefälschten oder kopierten Software-Produkten als Vorwand für diese Vorgehensweise zu nutzen, ist naheliegend, Microsoft dafür einzuspannen ebenfalls. Der Business Software Alliance zufolge gehört Russland zu jenen Staaten, deren Bürger am häufigsten illegale Software einsetzen. Doch gegen die Nutzer solcher Software will Microsoft nach eigenem Bekunden eigentlich nicht gezielt vorgehen. Stattdessen, so das Unternehmen, unterstütze man Polizeibehörden weltweit dabei, gegen Hersteller und Verkäufer der Raubkopien, statt gegen deren Anwender, vorzugehen. Man habe sogar ein Hilfsprogramm aufgelegt, das Zeitungen und Interessengruppen mit kostenloser Software versorgen soll.

Diese Darstellung bekräftigt auch Alexander Strakh, der Leiter von Microsofts Anti-Piraterie-Abteilung in Moskau. Er erklärte, Microsoft unterstütze die Behörden nur auf Anfrage und nur im Rahmen russischer Gesetze. Er habe keine Kenntnisse darüber, dass Verfahren wegen Software-Piraterie gezielt gegen Oppositionelle eingesetzt werden.

Überraschende Eigeninitiative eines Anwalts

Die "NYT" zeigt jedoch Fälle auf, in denen Microsofts Anwälte entweder selbst Anzeige gegen Oppositionelle erstattet oder den Behörden bei ihren Verfahren zumindest kräftig unter die Arme gegriffen haben. So sei einem Bericht des Innenministeriums zu entnehmen, ein Verfahren gegen die Bürgerrechtlerin Anastasia Denisova sei auf Antrag eines Microsoft-Anwalts in Gang gesetzt worden. Microsofts Moskauer Büro widersprach dieser Darstellung umgehend.

Denisova zufolge sei der betreffende Anwalt im Verlauf des Verfahrens aber ausgesprochen aktiv gewesen. Er sei auch ohne Vorladung zu den Gerichtsterminen erschienen und habe erklärt, sie verklagen zu wollen. Diesen Drohungen zum Trotz wurde das Verfahren nach einigen Monaten eingestellt.

Staatlich eingeschleuster Virus

Doch mit der Einstellung der Verfahren ist den Oppositionellen und Bürgerrechtlern oft nicht mehr geholfen. So wie im Fall der regierungskritischen Zeitung "Nowaja Gazeta". Nachdem die Büros der Lokalredaktion in Samara unter dem Vorwurf der Software-Piraterie durchsucht und Computer beschlagnahmt wurden, sei auch ein Rechtsvertreter Microsofts vor Gericht erschienen und habe bestätigt, dass die PC illegale Software enthalten, erklärt der Chefredakteur der Zeitung. Er selbst konnte erst später nachweisen, nur legale Programme auf den Redakteursrechnern verwendet zu haben. Die Redaktion musste er trotzdem schließen.

Darüber, welcher Art die Untersuchungen sind, denen die beschlagnahmten Rechner von den Behörden unterzogen werden, kann man nur spekulieren. Dass allerdings nicht immer Profis damit betraut werden, scheint der letzte Fall zu bestätigen, den die "NYT" vorlegt. Zumindest einer der Computer, die Baikal Environmental Wave nach fünf Monaten Wartezeit von der Polizei zurück bekam, konnte zunächst nicht mehr benutzt werden, er war während der Untersuchung mit einem Virus verseucht worden.