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Lehrstellen: Wie Deutschlands Topkonzerne um Nachwuchs werben

Foto: A3587 Ronald Wittek/ dpa

Lehrstellen Wie die Topkonzerne um Nachwuchs werben

Deutschland gehen die Azubis aus. Selbst renommierte Großunternehmen haben immer mehr Probleme, ihre Lehrstellen mit geeigneten Bewerbern zu besetzen. Jetzt sind neue Ideen gefragt - einige Unternehmen blicken bereits auf die Kindergärten.
Von Alexander Heintze

Für Emre Ergenekon war es die letzte Chance, für die Deutschen Telekom ein Glücksfall. Der 26-Jährige Münchner hat fünf Jahre lang vergeblich versucht, eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Die Note im Fachabitur war zu schlecht für ein Studium, er wurde früh Vater, jobbte erstmal und dann war der Zug irgendwann abgefahren. Bei der Arbeitsagentur galt er als kaum noch vermittelbar - wie bei so vielen jungen Menschen ohne Ausbildung schien der Weg in Hartz IV vorgezeichnet.

Dann kam er bei der Arbeitsagentur in ein Programm, das Jugendliche für ein Jahr probeweise in die Betriebe bringt. Thomas Sattelberger, Personalvorstand bei der Deutschen Telekom  ließ sich auf das Experiment ein. Die Telekom nahm im vergangenen Jahr 61 Auszubildende auf, die in einem normalen Bewerbungsprozess aussortiert worden wären - "auch bei der Telekom", wie Sattelberger offen zugibt. Immerhin 50 von ihnen wurden von der Telekom jetzt in ein festes Ausbildungsverhältnis übernommen. Emre Ergenekon wird derzeit zum IT-Netzwerkelektroniker ausgebildet.

Chef-Personaler Sattelberger ist sich sicher, dass Unternehmen in Zukunft häufiger auf das bisher ungenutzte Potenzial der "Unausbildbaren" zurückgreifen müssen. Denn den deutschen Unternehmen gehen die Lehrlinge aus. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer berichtet, dass im vergangenen Jahr rund 50.000 Lehrstellen nicht besetzt werden konnten.

Ein Problem, das bisher vor allem den Mittelstand betraf. Doch auch große Konzerne haben immer mehr Probleme bei der Besetzung freier Ausbildungsplätze. "Wahrscheinlich wird die Metro Group  in Deutschland wieder rund 200 bis 300 Lehrstellen nicht mit ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Bewerbern besetzen können", erklärt ein Sprecher des Handelskonzerns. Bei einer Umfrage von manager magazin Online unter 40 Großunternehmen konstatierten die meisten Personalchefs, dass es zunehmend schwieriger werde und deutlich länger dauere, um geeignete Bewerber zu finden.

MINT-Fachkräfte fehlen

Vor allem in den technischen Berufen bleiben zahlreiche Stellen unbesetzt. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln berichtet, dass im allein im Juni 2010 in Deutschland 65.000 Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler und Techniker (sogenannte MINT-Kräfte) fehlten. "Es wird für uns immer schwieriger, Ausbildungsstellen zu besetzen", sagt Markus Richter Personalleiter der Hella KGaA Hueck Co.

Die kommende Ausbildungslücke lasse sich heute schon berechnen, warnt Oliver Koppel, Arbeitsmarktexperte beim IW. Nicht mal acht Millionen Menschen seien heute zwischen fünf und 14 Jahre alt. Sie müssen in einigen Jahren über zwölf Millionen Menschen ersetzen, die in Rente gehen. "Das wird ein Riesenproblem, auch für den Ausbildungsbereich", warnt Koppel.

Der demografische Einfluss ist nicht vermeidbar; der Fachkräftemangel ist ein Stück weit vermeidbar", sagt Telekom-Personalvorstand Sattelberger. Die Rekrutierung bisher aussortierter Jugendlicher gehört für ihn dazu. Konzerne wie Siemens, Metro, BASF oder Bayer suchen sich ihre Auszubildende ebenfalls schon aus diesem Reservoir.

Konzerne suchen schon in Kindergärten

Doch auch den bisherigen Bewerbern müssen die Unternehmen mehr investieren. BASF hat in einer internen Untersuchung festgestellt, dass bei Haupt- und Realschülern seit 1975 die Leistungen bei elementaren Rechtschreib- und Rechenkenntnissen sinken. Immer häufiger müssen die Firmen aufholen, was die Schule nicht mehr schafft. "Da wir für die nächsten fünf bis zehn Jahre jedoch mit schwächeren Bewerbern rechnen, werden wir uns darauf einstellen und unsere Auszubildenden zukünftig noch intensiver und individueller begleiten müssen", blickt Marco Reich, Leiter der Personalentwicklung bei der ZF Friedrichshafen AG, in die Zukunft.

Doch man wird seiner Zielgruppe noch mehr entgegen kommen müssen. "Der Austausch mit potenziellen Nachwuchskräften wird noch früher beginnen, nämlich in Kindergarten und Schule", ist man bei der Robert Bosch GmbH überzeugt. Auch Siemens  versucht bereits in der Vor- und Grundschule die Experimentierfreude und die Begeisterung der Kinder an den Gesetzen der Natur zu wecken. Schulpraktika und die Teilnahme an Berufstagen in den Schulen gehören bei den Unternehmen bereits zum normalen Alltag, ebenso wie die verstärkte Präsenz bei Twitter oder Facebook.

In den späteren Jahren wird nach Ansicht von IW-Experte Koppel die duale Ausbildung zunehmen. Immer mehr Unternehmen bezahlen schon jetzt ihren zukünftigen Angestellten Teile des Studiums und binden sie damit frühzeitig. Stiftungslehrstühle sind eine weitere Alternative. So hat der Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne in Hamburg eine eigene Logistik-Universität gegründet, die im Oktober mit dem Studienbetrieb beginnen wird und die Nachwuchsprobleme in der Logistik lösen will.

Blick geht nur zaghaft ins Ausland

In Zukunft werden die Unternehmen in Deutschland ihren Blick zwangsläufig mehr ins Ausland schweifen lassen, wenn sie talentierten Nachwuchs und sogar Auszubildende suchen. In den meisten Großunternehmen ist das allerdings noch kein Thema. Was auch daran liegen mag, dass die Firmen international aufgestellt sind und die guten Köpfe im Ausland ebenso gut gebrauchen können. "Nach unserer Erfahrung gibt es trotz des zunehmenden Wettbewerbs um Talente auch in Deutschland ein ausreichend großes Potenzial qualifizierter Bewerber", ist ein Fresenius-Sprecher sicher.

Das IW fordert dennoch, mehr kluge Köpfe aus anderen Ländern dazu zu bewegen, sich in Deutschland niederzulassen. Derzeit liege der Anteil der hochqualifizierten Ausländer bei unter 20 Prozent. Denn die Hürden sind hoch. So müssen etwa zuwanderungswillige Akademiker aus Nicht-EU-Ländern aktuell ein Mindestgehalt von rund 66.000 Euro jährlich vorweisen, rechnet das IW vor. Viele Unternehmen würden daher Erleichterungen bei der Einwanderung durchaus begrüßen.

Zudem müssen die Unternehmen ihre Einstellungskriterien überdenken, ist sich Telekom-Vorstand Sattelberger sicher. Nach den Erfahrungen aus dem Hartz-IV-Projekt lässt er derzeit die Einstellungstest des Unternehmens überarbeiten. Damit Menschen wie Emre Ergenekon in Zukunft wieder eine Chance und die Telekom ihre Auszubildenden bekommt.