ZEIT ONLINE: Die Mainzer Fans haben das Saisonziel bereits korrigiert. Nach dem 4:2 gegen Hoffenheim sangen sie erst "Nie mehr Zweite Liga", dann von Europapokal und Champions League, schließlich gar: "Wir holen 102 Punkte!" Wann schrauben Sie Ihre Erwartungen nach oben?

Heidel: Erst "Nie mehr Zweite Liga" zu singen und dann von 102 Punkten zu träumen zeigt, dass wir uns in Mainz immer ein bisschen selbst auf den Arm nehmen. Unsere Ziele haben sich nicht geändert. Für Mainz 05 ist es das größte, Bundesliga zu spielen.

ZEIT ONLINE: Das heißt, selbst wenn Sie gegen den HSV mit dem achten Sieg in Folge Bundesliga-Geschichte schreiben, sind das für Sie nur 24 Punkte gegen den Abstieg?

Heidel: Es gibt keinen Bonus, keine Prämie keinen Pokal. Wir hätten einen Platz in den Geschichtsbüchern des Fußballs. Nicht mehr und nicht weniger.

ZEIT ONLINE: Was der Erfolg den Mainzern bringt, ist Aufmerksamkeit. Die New York Times berichtete, in englischen Podcasts diskutierten Experten über die Bruchweg-Boys. Zahlt sich das gesteigerte Interesse für den Verein in barer Münze aus?

Heidel: Ob sich das auszahlt, werden wir sehen, wenn wir mit Sponsoren verhandeln. In den letzten zwei Monaten ist der Bekanntheitsgrad von Mainz 05 jedenfalls immens gestiegen. Übrigens: Die Frage, die mir ausländische Medienvertreter am häufigsten stellten, war: Wie heißt euer Geldgeber? Wer ist der Milliardär im Hintergrund? Und immer wieder musste ich antworten: Wir haben keinen. Im Ausland kann niemand nachvollziehen, was hier passiert.

ZEIT ONLINE: 2001 machen Sie den Verteidiger Jürgen Klopp zum Cheftrainer, 2009 entlassen Sie vier Tage vor Saisonbeginn den Aufstiegstrainer Jörn Andersen und in der Sommerpause lassen Sie Ihren erfolgreichsten Stürmer, Aristide Bancé, nach Dubai ziehen. Woher nehmen Sie den Mut zu unpopulären Entscheidungen?

Heidel: Unpopuläre Entscheidungen kann nur ein Verein treffen, der in sich gefestigt ist. Zum Glück arbeite nicht nur ich hier seit 1991, der gesamte Vorstand von Mainz 05 ist seit über 20 Jahren im Amt. Alle Entscheidungen hatten ihre Gründe, wobei ich zugeben muss: Im Gegensatz zur Ernennung von Thomas Tuchel zum Cheftrainer, war die von Jürgen Klopp eine reine Bauchentscheidung.

ZEIT ONLINE: Warum waren Sie sich bei Thomas Tuchel so sicher?

Heidel:Thomas Tuchel ist ein überragender Fußball-Fachmann. Er zerpflückt Spiel und Spieler, da bleibt nichts übrig. Er hat aber etwas, das die guten von den sehr guten Trainern unterscheidet: Soziale Kompetenz im Umgang und in der Kommunikation mit den Spielern. Er ist ein loyaler und authentischer Typ, ein positiv Verrückter wie Jürgen Klopp. Mit einem Trainer, der im Anzug und Zwirn an der Außenlinie steht, hätte ich Probleme. Das ist nicht Mainz 05.

ZEIT ONLINE: Wie gelingt es Ihnen, immer wieder Talente wie André Schürrle oder Andriy Voronin zu finden?